Aufgehübschte Kolonialgeschichte

Aufgehübschte Kolonialgeschichte

Endlich ist die weltgrößte Bismarck-Statue im Zentrum Hamburgs ins Gerede gekommen, angestoßen durch die bewegenden Bilder über Aktionen gegen die heroischen Denkmäler früher Exponenten von Kolonialismus und Sklaverei in England, Belgien und den USA.  Doch die Erwartung, dass die Hamburger Bürgerschaft und ihre rot-grüne Regierung sich für die längst überfällige kritische Veränderung des Bismarck-Denkmals einsetzen würden, trifft ins Leere. Im Gegenteil: Für ca. 10 Millionen Euro wird Otto von Bismarck  zurzeit im Innern einer großen Holzkiste aufwändig herausgeputzt. Dann soll der „eiserne Kanzler“ in einer Kombination von Roland und Kriegsheld wieder zu Ehren kommen.

Als Zeichen seiner Politik- und Herrschaftsmethoden hält er ein großes Schwert bereit. Krieg war ein Mittel seiner Politik: Vor allem gegen Polen, Dänemark und Frankreich setzte er den deutschen Herrschaftsanspruch und die Gründung des Deutschen Reiches durch. Sein Kulturkampf richtete sich nicht nur gegen die katholische Kirche, sondern vor allem gegen das katholische Nachbarland Polen. Ziel war die Germanisierung im Zentrum Europas. Um deutsche Einflussnahme und deutsche Profite ging es dem Kanzler auch bei der von ihm einberufenen Kongo-Konferenz 1884, auf der die europäischen Kolonialmächte den afrikanischen Kontinent zum Zweck von Ausplünderung und Herrschaft unter sich aufteilten und damit auch die Grundlagen für die deutsche Kolonialpolitik gelegt wurden. Trotz seiner anfänglichen Skepsis folgte Bismarck dabei dem Drängen Hamburger Kaufleute wie Adolf Woermann, die prächtige Gewinne machten. Auch wenn Otto von Bismarcks Kolonialpolitik nicht von persönlichen rassistischen Einstellungen, sondern von klaren politischen Interessen geleitet wurde, befeuerte der Kolonialismus doch die Entwicklung von antihumanen rassistischen Ideologien. Und umgekehrt stärkte rassistische Propaganda die Akzeptanz mörderischer Kriegseinsätze in den Kolonien.

Auch in der Innenpolitik regierte Otto von Bismarck mit dem Schwert: Er verbot die sozialistischen Parteien und ließ ihre Mitglieder mit Massenverhaftungen und Ausweisungen verfolgen. (In Hamburg residierte das zuständige Polizeipräsidium übrigens im Stadthaus.) Die gleichzeitige Einführung einer modernen Sozialgesetzgebung, die tatsächlich die Lage vieler Arbeiter verbesserte, war das Zugeständnis, um der Sozialdemokratie das Wasser abzugraben.

Einer der Hauptfeinde des Reichskanzlers war August Bebel, damals Vorsitzender der SAP (Sozialistischen Arbeiterpartei), die sich 1890 in SPD (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands) umbenannte. August Bebel war 20 Jahre lang für Hamburg Mitglied des Reichstages. Ihm sind bis heute nur eine Straße und ein kleiner Park gewidmet.

Klar also, dass die Errichtung und Einweihung des Bismarck-Denkmals im Juni 1906 von heftigen Protesten der SPD und der Gewerkschaften begleitet wurde. Damals musste das Geld für die monumentale Krieger- und  Kanzlerstatue von den Hamburger Profiteuren der Kolonialpolitik aufgebracht werden.

Heute sorgt die SPD mit Unterstützung der CDU dafür, dass die Aufhübschung und Glorifizierung Bismarcks aus Steuergeldern finanziert wird. Sieht so die im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen beschworene „Verantwortung, das koloniale Erbe der Stadt weiter aufzuarbeiten“, aus?

Liebe Bürgerschaftsabgeordnete, besinnen Sie sich eines Besseren. Würdigt August Bebel statt Otto von Bismarck. Ganz nebenbei kann so auch vermieden werden, dass AfD-Höcke eine seiner nächsten Bismarck-Medaillen dem Hamburger Senat verleiht. *)

*) Unter dem Titel „Würdigt lieber August Bebel“ erschien am 29. Juni 2020 eine leicht gekürzte Fassung dieses Beitrags in der Hamburger Morgenpost.

 

Als Reaktion darauf führte das Kulturjournal des ndr 90.3 ein Interview mit Ulrich Hentschel. Nachzulesen ist es hier:

https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Kopf-ab-Diskussion-ueber-Hamburger-Bismarck-Denkmal,bismarckdenkmal214.html

oder zu hören als Podcast:

https://www.ndr.de/903/Monumentalitaet-und-Wucht-dieses-Denkmals-aufbrechen,audio707432.html  

 

Am 11.7.2020 griff das NDR-Hamburg-Journal das Thema erneut auf und interviewte dazu erneut Ulrich Hentschel:

https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Hamburger-Bismarck-Denkmal-Streit-um-die-Zukunft,bismarckdenkmal216.html

 

Und last but not least: Der Bleicherfunk, eine Podcastreihe der Bildungseinrichtung Bleicherhaus, hat unter der etwas reißerischen Überschrift „Otto von Bismarck – Schleifen oder feiern“ ein ausführliches Gespräch zwischen dem Historiker Felix Ekberg und Ulrich Hentschel aufgezeichnet: https://open.spotify.com/episode/4BYDXq63gL2HHUOuSiqcBu

 

Mehr dazu siehe auch:  https://linksabbieger.net/2020/06/26/bismarck-denkmal/

 

 

 

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