„Reine Spekulation“ – Innenansichten des Hamburger Grundstücksmarktes

„Reine Spekulation“ – Innenansichten des Hamburger Grundstücksmarktes

Es gibt politische Entwicklungen, die einem geheimen Gesetz zu folgen scheinen: Man kann tun und lassen, was man will, es kommt immer dasselbe dabei heraus. Das gilt offenkundig auch für den Immobiliensektor in Hamburg.  In den letzten Monaten machte hier insbesondere das „Holstenquartier“ Schlagzeilen. Als vor 7 Jahren klar war, dass die Carlsberg A/S, der weltweit viertgrößte Brauereikonzern, ihre Produktionsstätte verlagern würde, kalkulierten interessierte Wohnungsunternehmen mit einem Preis von 50 Mio Euro für das Grundstück.  Die Brauerei, die mit der Stadt Hamburg vereinbarte, ihre neue Produktionsstätte innerhalb Hamburgs Stadtgrenzen anzusiedeln, dafür aber das Grundstück frei vermarkten durfte, erzielte im Jahr 2016 schon einen Erlös von 153 Mio Euro. Dann wechselten die Eigentumsverhältnisse, wodurch der Preis für das Holstenquartier im Jahr 2020 auf 320 Mio Euro anstieg – eine Verdopplung des Preises innerhalb von nur 4 Jahren, ohne dass auch nur ein Spatenstich getan wurde. Der jetzige Eigentümer kalkuliert nach erfolgter Fertigstellung mit einem Quadratmeterpreis von 5.700 Euro/m², was für die zukünftigen Mieter:innen auf einen durchschnittlichen Mietpreis von 18 Euro/m² hinauslaufen dürfte. (Wer es genauer wissen will: hier.)

Bemerkenswert ist bei all dem auch die Reaktion der Stadt: Zum letzten Deal äußerte sich im Mai 2020 der SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf gegenüber dem Abendblatt: „Das, was hier passiert, ist reine Spekulation und sehr bedenklich. Den Investoren scheint es nicht um dieses wichtige städtebauliche Projekt zu gehen, sondern nur um Profit.“  Ähnlich äußerte sich auch Gabriele Dobusch auf einer sehr informativen Stadtteilveranstaltung im Oktober 2020: Wenn wir das gewusst hätten ….   Hier werden vereinzelt Töne angeschlagen, die man bislang eher der „Recht-auf-Stadt“-Bewegung zugeordnet hätte. Aber es klingt dann doch sehr nach „Haltet den Dieb!“ Als wenn in der SPD und bei ihrem Koalitionspartner niemand wüsste, wie der Grundstücksmarkt funktioniert … und nicht erst seit 2008, seitdem das deutsche „Betongold“ auch zum internationalen Spekulationsobjekt avanciert ist. Für den kritischen Betrachter bleibt gleichwohl schwer zu beurteilen, ob sich darin politische Naivität, Täuschungsabsicht oder eine dann absichtsvolle Mischung aus beidem zeigt.

Um das Gelände hinter dem St. Pauli-Stadion geht es.

Da ist es wirklich hilfreich, wenn sich an einem anderen umstrittenen Projekt, dem sog. „Pauli-Haus“ neben der Rindermarkthalle, jemand die Mühe macht, die verschiedenen Vorgänge über einen längeren Zeitraum genau zu beobachten und die komplexen Vorgänge mit ihren vielfältigen Mechanismen und Entscheidungswegen einmal bis ins Detail zu verfolgen und fachkundig zusammenzutragen. So geschehen durch Mario Bloem, Geschäftsführer der d-plan Stadtentwicklung GmbH. Er präsentierte seine Ergebnisse am 19.11.2019 auf einer Veranstaltung im Ballsaal des FC St. Pauli gegenüber Befürworter:innen und Gegner:innen des umstrittenen Bauprojekts. Sein in jeder Hinsicht sehenswerter wie kurzweiliger Vortrag trägt den Titel „Kieztrojaner oder netter Nachbar“ . Wer diesen Beitrag gesehen hat, weiß zumindest für dieses Bauvorhaben, wie das eingangs erwähnte „geheime Gesetz“ gestrickt ist und wer also genau was tut, damit das Gewünschte herauskommt. Und weil der Streit auch um das „Paulihaus“ noch lange nicht beendet ist, ist das Wissen um die hier wirksamen Mechanismen nicht nur für die Zukunft interessant.

Bildquellen

  • hamburg-852859_1920: falco auf pixabay
  • site-3871804_1920: Alfred Derks auf pixabay

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