Stadthaus: ZEIT-Homestory vernebelt den Blick auf erinnerungspolitischen Konflikt
Der Beitrag “Es tut mir in der Seele weh” von Marc Widmann in der ZEIT am 27.1.22[1] über das Ende der Buchhandlung mit angeschlossener Infoecke in den Hamburger Stadthöfen gibt in seiner Mischung von Sachinformationen und Legendenbildung ein interessantes Beispiel für eine Geschichten- und Geschichtsschreibung in einem brisanten Konflikt. Das macht es sinnvoll, ihn genauer zu lesen. Denn es geht dabei um wichtige erinnerungspolitische Fragen:
Wie ist ein Gebäudekomplex, der in der Nazizeit als Zentrale des Polizei- und Gestapoterrors genutzt wurde, im gegenwärtigen öffentlichen Stadt–Gedächtnis zu etablieren? Welchen Raum im ideellen wie vor allem im realen Sinn gibt die Stadt Hamburg der Dokumentation über die Verbrechen, über die Täter und die Opfer dieser Verbrechen? Was bedeutet die Tatsache, dass sich das Stadthaus damals wie heute mitten in Hamburgs City befindet, in bester Lage? Wer hat welches Interesse daran, dieses störende Gedächtnis möglichst einzukapseln und mit aufwändigen Fassaden zu überglätten?
Um diese Fragen gibt es seit mehreren Jahren einen heftigen Streit, der weit über Hamburgs Grenzen hinaus Beachtung fand und findet. Während die einen, vor allem die Eigentümer der riesigen Luxusimmobilie Stadthöfe und an ihrer Seite der rot-grüne Senat eine 70 m² große Infoecke in einem gemeinsamen Raum mit Buchhandlung und Café ausreichend fanden, forderten die anderen, vor allem Angehörige und Nachfahren von im Stadthaus inhaftierten und malträtierten Menschen ebenso wie zahlreiche Historikerinnen und Historiker, einen von der Stadt verantworteten Dokumentations-, Lern- und Gedenkort auch für den Hamburger Widerstand mit der dafür notwendigen Größe.
Das Experiment ist gescheitert – wie von Anfang an absehbar
Nun sieht es so aus, dass mit der Insolvenz der Buchhändlerin auch das Experiment des von Investor und Kultursenator gepriesenen „Dreiklangs von Geschichtsort, Buchhandlung und Café “ endgültig gescheitert ist. Die Buchhändlerin als Verkörperung dieses Dreiklangs hat Insolvenz angemeldet. Der Kultursenator hat umgehend angekündigt, dass jetzt die Stadt die Verantwortung für die Gestaltung und den Betrieb der gesamten 350 m² als Geschichtsort übernehmen will. Eine selbstkritische Reflexion über seine erhebliche Mitverantwortung für dieses vierjährige ebenso überflüssige wie peinliche Experiment blieb dagegen aus. Ist dennoch und also alles gut? Immerhin soll die Privatisierung des Gedächtnisses an die frühere Nazi- Gewaltzentrale rückgängig gemacht werden. Können die Kritikerinnen und Kritiker jetzt zufrieden sein? Sie können es nicht. Denn zum einen ist die neue Situation nicht durch Einsicht auf Seiten des rot-grünen Senats entstanden, sondern mit der Insolvenz durch einen einfachen ökonomischen Vorgang. Zum anderen haben die rot-grünen Erinnerungspolitiker angekündigt, dass die Dokumentation und Würdigung des Hamburger Widerstands ausgelagert werden soll in das schwer erreichbare ehemalige KZ und Gefängnis in Fuhlsbüttel. Dafür gab und gibt es kein inhaltliches Argument, sondern wieder einmal wie üblich bei wenig geliebten Projekten nur den Hinweis auf die knappen Finanzmittel der Stadt. Immer wieder haben vor allem die beiden Verfolgten-Verbände VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) und AvS (Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten) darauf hingewiesen, dass für die Männer und Frauen des Widerstandes nach ihrer Verhaftung die Gestapo-Zentrale im Stadthaus der erste Ort ihres Leidensweges war. Aus diesen Gründen wird die Auseinandersetzung weitergehen. Und darum werden die eingangs angeführten Fragen und Kontroversen ihre Relevanz behalten. Die jüngste Geschichte über Hamburgs Umgang mit der NS-Geschichte im Stadthaus ist noch lange nicht zum Ende gekommen und sollte schon darum aufgeschrieben zu werden. Zahlreiche Dokumente dazu sind chronologisch und ausführlich dokumentiert auf der Website http://www.foerderkreis-stadthaus.de/.
In der ZEIT hat jetzt Marc Widmann eine sehr spezielle Version dieser Geschichte geliefert. Er wählt dafür die Form einer Homestory über die Buchhändlerin Stephanie Krawehl. Der von Krokodilstränen nicht freie Ton wird schon in der Überschrift gesetzt: „Es tut mir in der Seele weh“. Und zum Schluss seines langen Artikels heißt es: „Nur Stephanie Krawehl … hat gar nichts mehr. Sie muss jetzt Harz IV beantragen.“ Jede mitfühlende Leserin, die die Auseinandersetzungen der letzten Jahre um das Stadthaus nicht zur Kenntnis genommen hat, fragt sich jetzt, wie es dazu kommen konnte.
Ja, wie konnte es dazu kommen? Warum hat die Buchhändlerin aufgegeben? Ohne Rückfragen, ohne eigene Recherche und teilweise wider besseres Wissen übernimmt Marc Widmann die Selbststilisierung der Buchhändlerin als Opfer von Wut und Zorn und „ständigen Angriffen“ der Kritiker, „die von Anfang an mit wöchentlichen Mahnwachen vor dem Gebäude gegen dieses Konzept (der Mixtur eines privat betriebenen Cafe- Buchladens mit einem NS-Geschichtsort, d. V.) demonstrierten“. Marc Widmann dann weiter in der emotionalisierenden Markierung der Opferverbände: „… alle hatten die Wut unterschätzt, die jetzt (nach Bekanntwerden des Dreiklang–Konzepts D. V.) losbrach. Schon vor der Eröffnung im Mai 2018 liefen NS-Opferverbände gegen das Konzept Sturm. Ihr Zorn galt eigentlich der Stadt und dem Investor, weil der Gedenkort weit hinter allen Erwartungen zurückblieb. Doch er entlud sich vor allem an Stephanie Krawehl persönlich. Sie wurde immer wieder im Laden besucht und verbal angegangen. Am härtesten wurde es für sie, als die Kritiker in Archiven recherchierten und öffentlich machten, dass ihre Großmutter einst Mitglied der NSDAP war, was sie nicht gewusst hatte. Diese Angriffe haben Verletzungen hinterlassen, die bis heute zu spüren sind, auch wenn sie das nie zeigen wollte.“
Die Buchhändlerin wirbt mit einer unwahren Verfolgtengeschichte ihrer Oma
Marc Widmann erweckt hier den falschen Eindruck, dass die Opferverbände in ihrer Wut und ihrem Zorn sogar so weit gingen, auch noch die Familiengeschichte von Stephanie Krawehl zu recherchieren. Das ist nicht nur unseriös, sondern grenzt schon an Verleumdung. Denn er selbst war es, der vier Jahre zuvor in einem langen ZEIT-Artikel über Stephanie Krawehl als erster deren Familiengeschichte publik gemacht hatte, allerdings nicht wahrheitsgemäß, sondern mit der unwahren Behauptung einer Verfolgung ihrer Großmutter Rosa Krawehl durch die Nazi-Polizei. Das sollte sie wohl als besonders geeignet für die Betreuung des Geschichtsortes ausweisen. Zwei Monate später erklärt Stephanie Krawehl noch einmal selbst zur Eröffnung ihrer Buchhandlung am 1. Mai 2018: „Meine eigene Familiengeschichte verbindet mich mit dem Stadthaus, da meine Großmutter denunziert und hier mehrmals verhört wurde. Dies war Jahrzehnte ein Tabuthema bei uns. Deshalb liegt mir auch ganz besonders die Auseinandersetzung mit der Beziehung der NS-Verbrechen zu unseren aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen am Herzen.“
Erst nach dieser öffentlichen Darstellung einer familiären Verfolgten- Geschichte hat eine einfache historische Recherche ergeben, dass diese von Marc Widmann ungeprüft übernommene Darstellung von Frau Krawehl nicht nur falsch war, sondern die historischen Tatsachen geradezu ins Gegenteil verkehrte. Denn ihre Großmutter Rosa Blanca Krawehl war kein Opfer der Nazis, sondern schon 1937 in ihrem Heimatland Uruguay der NSDAP beigetreten. Hätte es nicht ihre Enkelin ebenso wie einen halbwegs kundigen Journalisten nachdenklich machen müssen, dass diese Frau im Sommer 1939 mit ihrem Mann, ebenfalls NSDAP-Mitglied, nach Hamburg zurückkam, also in einer Zeit, in der viele Verfolgte verzweifelt versuchten, Deutschland zu verlassen? Schon das sprach dafür, dass sie keine Verfolgte gewesen sein konnte.
Alles das hätte der Marc Widmann auch selbst herausfinden können. War er nur gutgläubig? Das kann auch einem ZEIT– Journalisten schon einmal passieren. Zu erwarten wäre dann aber zumindest, dass die in dem Artikel verbreitete Unwahrheit in der ZEIT richtiggestellt wird. Das aber unterblieb. Warum?
Ebenso schwiegen Senator, SPD und Grüne und der Investor, dessen PR-Berater auch stets Frau Krawehl zur Seite gestanden hatte. Spätestens jetzt hätten Stadt und Investor das Experiment beenden können. Damit wären allen Beteiligten, auch Frau Krawehl, drei Jahre anstrengender und unergiebiger Auseinandersetzung erspart geblieben.
Aber auch Frau Krawehl selbst schwieg. Nur auf Nachfrage gab sie Journalisten eine Erklärung für das Zustandekommen ihrer falschen Darstellung. Auf eine Entschuldigung für ihre Selbststilisierung als Nachfahrin eines Opfers warteten die Menschen, deren Angehörige tatsächlich im Stadthaus malträtiert und gefoltert worden waren, vergeblich. Schlimmer noch: Sie sah und sieht sich weiterhin als Opfer der Opferverbände. Das kann sie für sich persönlich so tun. Aber warum wird diese Täter-Opfer-Umkehr von Marc Widmann in der ZEIT unkritisch und unreflektiert unterstützt?
Selbstkritik bei Senator und Eigentümer? Fehlanzeige
Nein, Stephanie Krawehl war nicht das Opfer der Opferverbände und ihrer Unterstützerinnen, sondern das Opfer („Sie war eine billige Lösung“) von Investor und Kulturbehörde mit ihrem von Anfang an falschen Konzept, das sie selbst bis heute noch „unbeschreibbar gut“ findet. Sie war auch von Anfang an Mitwirkende an ihrer eigenen Geschichte.
Vielleicht mag sich auch Frank Schmid, damals Vorstand des Investors Quantum Immobilien AG, an sein Grußwort zur Eröffnung ihrer Buchhandlung erinnern: „Liebste Stephanie, lieber Lesesaal … Du wirst Hamburg einen Ort schenken, den viele sehr gerne annehmen werden. Wir freuen uns über eine Partnerin wie dich und wünschen dir eine ganz tolle Zeit.“ Einmal vorausgesetzt, Frank Schmid hätte das nicht zynisch gemeint: Wird er jetzt für die damaligen Versprechen geradestehen? Wir wissen es nicht.
Und ist der Kultursenator dazu bereit, Verantwortung zu übernehmen für seine damalige Entscheidung, statt der Geschichtswerkstätten eine Buchhändlerin für die Betreuung des erinnerungspolitisch zentralen Geschichtsortes Stadthaus vorzuschlagen? Sonst steht zu befürchten, dass Fehlentscheidungen, die nicht analysiert und aufgearbeitet werden, ihre Fortsetzung finden. Aber wenn die politisch Verantwortlichen sich schwertun mit Selbstkritik und Kurskorrektur, könnten Medien wie die ZEIT auf gute demokratische Weise nachhelfen. Doch leider hat Marc Widmann mit seiner Geschichte der von den Kritikern und Verfolgten-Verbänden verfolgten Buchhändlerin Stephanie Krawehl nicht dazu beigetragen. Mit seiner Homestory verdeckt er so den realen Kern einer am Stadthaus, aber auch an anderen erinnerungspolitisch bedeutsamen Orten in Hamburg praktizierten Politik: Die Übergabe der Verantwortung für das öffentliche Gedächtnis an die NS-Zeit an einen Immobilien-Konzern und damit die Kommerzialisierung unterwirft dieses Gedächtnis dann eben auch kommerziellen Regeln. Die bittere Ironie dieser Geschichte: eine einfache Insolvenz musste den politischen Raum dafür schaffen, dass sich die Stadtregierung wieder auf ihre Verantwortung besinnt. Die zivilgesellschaftlichen Initiativen und die linke Opposition in der Bürgerschaft werden die Regierungsparteien SPD und Grüne weiterhin daran erinnern müssen.
Nachbemerkung:
Unter Bezug auf das Selbstverständnis der ZEIT als eines liberalen, dialog- und kontroversbereiten Mediums hatte ich diesen Text auch an Marc Widmann und ZEIT-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo geschickt. In einer ausführlichen Antwort wies Marc Widmann meine Kritik zurück und warf mir zahlreiche Unterstellungen, Anschuldigungen und völlige Empathielosigkeit gegenüber der Buchhändlerin vor. Mein Text erschien nicht.
[1] https://www.zeit.de/hamburg/2022-01/ns-gedenkstaette-stadthaus-hamburg-buchhandlung-insolvenz
Bildquellen
- Uwe Leps 2: Uwe Leps
- Stadthaus Uwe Leps: Uwe Leps
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