„Sie können ja dagegen klagen.“
Es gibt Momente im politischen Leben, die vergisst man nicht ganz so schnell, dazu gehört auch dieser: Am 16. Mai 2017, wenige Wochen vor dem G20-Gipfel im Juli 2017, lud die taz Hamburg zum „taz-Salon“ ins Schanzenviertel, es ging um Versammlungsfreiheit und Polizeistrategien. Mit auf dem Podium: Innensenator Andy Grote (SPD) und Anjes Tjarks, seinerzeit Vorsitzender der grünen Bürgerschaftsfraktion. Als Grote darauf angesprochen wurde, dass der für den Gipfel polizeilich verantwortliche Einsatzleiter Hartmut Dudde in der Vergangenheit mehrfach und gerichtlich bestätigt gegen das Versammlungsrecht verstoßen habe, meinte er, dass er davon nichts wisse. Damit ignorierte der Innensenator bewusst die breite öffentliche Diskussion zu dieser Frage wie auch eine Kleine Anfrage an den Senat. So lag es nahe, dass er die Öffentlichkeit in die Irre zu führen versuchte. Davon gingen auch die meisten im Raum aus. Auch Anjes Tjarks schwieg zu all dem.
Andy Grote sprach in dieser Veranstaltung auch davon, dass der Gipfel zu einem „Festival der Demokratie“ werden würde. Er leugnete, dass Versammlungsverbotszonen eingerichtet werden würden, die wenig später, am 1. Juni 2017, mit einer Allgemeinverfügung erlassen wurden. Der Senat sprach davon, dass den Diktatoren und Unrechtsstaaten dieser Welt zu zeigen sei, dass auch ein solcher Gipfel rechtsstaatlich durchführbar sei.
Prägender als all diese Details selbst war die damit gesendete Botschaft, dass sich Dudde auch bei neuerlichen Verstößen gegen das Versammlungsrecht der politischen Rückendeckung durch den rot-grünen Senat gewiss sein konnte. Was das im Einzelnen heißen sollte, war dann während des Gipfels sichtbar und ist dokumentiert, z. B. im nachwievor sehr lesenswerten Bericht des Komitees für Grundrechte und Demokratie, das seinerzeit das Geschehen beobachtete.
Einer der schon damals erkennbaren groben und bewussten Verstöße der Polizei gegen geltendes Recht ist nun knapp 5 Jahre später gerichtlich überprüft worden. Das Verwaltungsgericht Hamburg hat am 4. Mai 2022 festgestellt, dass die Absperrung des Zugangs zu der Elbinsel Entenwerder zur Errichtung eines Protestcamps anlässlich des G20-Gipfeltreffens wie auch die Untersagung des Camps und das Verbot von Schlafzelten rechtswidrig waren. Einzelheiten zum gesamten Sachverhalt sind in der ausführlichen Pressemitteilung der Hamburger Justizbehörde nachzulesen.
Nun ist die nachträgliche gerichtliche Korrektur polizeilichen Vorgehens bei Demonstrationen kein Einzelfall. Immer wieder ist das auch mit den versammlungsrechtlichen Entscheidungen Duddes verbunden und charakterisiert in der Gesamtheit das, was als „Hamburger Linie“ bekannt geworden und berüchtigt ist. Der politischen Billigung konnte sich Dudde dabei stets gewiss sein. Das Besondere dieses Falls liegt jedoch darin, dass das Verwaltungsgericht Hamburg nach mehrfachen Urteilen bis hoch zum BVerfG in einem Eilverfahren am Abend des 2. Juli, also wenige Tage vor dem G20-Gipfel, abschließend festhielt, dass das Protestcamp – unter Auflagen – aufgebaut werden dürfe. Die Polizei hat sich jedoch mit Duldung der Innenbehörde um dieses Urteil überhaupt nicht geschert. Es geht in diesem Fall also nicht um eine nachträgliche rechtliche Korrektur einer einzelnen, seinerzeit rechtlich nicht überprüften polizeilichen Maßnahme. Sondern es geht um einen dezidierten, bewussten und politisch gebilligten Verstoß gegen ein Gerichtsurteil – im Klartext also um bewusst rechtswidriges staatliches Verhalten der damals polizeilich und politisch Verantwortlichen, also des Einsatzleiters Dudde und Innensenators Grote.
Damit hatte selbst das Verwaltungsgericht am Abend des 2.7.2017 nicht gerechnet, denn in dessen damaligen Beschluss heißt es ausdrücklich: Es „ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin in Ansehung des hiesigen Beschlusses dennoch faktische Verhinderungsmaßnahmen ergreifen wird.” Genau das geschah aber. Die Hamburger Morgenpost zitiert Hartmut Dudde mit der Antwort auf eine damalige Nachfrage: „Sie können ja dagegen klagen.“ So antwortet nur jemand, dem das Versammlungsrecht offenkundig nichts wert ist und der weiß, dass er für entsprechend rechtswidriges Verhalten nicht zur Rechenschaft gezogen werden wird. So sind wir wieder am Anfang und bei denen, die vorgeben, von all dem nichts zu wissen und damit den gezielten, kalkuliert eingesetzten groben Verstoß gegen das Versammlungsrecht und dessen Beschädigung bewusst fördern.
Foto: Die Polizei inspiziert das G-20 Protestcamp Elbpark Entenwerder nach der gewaltsamen Räumung vom 2. Juli 2017
Bildquellen
- G-20_Protestcamp_Elbpark_Entenwerder_16: Frank Schwichtenberg, CreativeCommons Lizenz https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
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