Hamburger Ostermarsch 2024 – ein Nachruf
Alljährlich findet sich in den Aufrufen zum Ostermarsch so etwas wie das Fieberthermometer eines Restbestandes der Friedensbewegung. In Hamburg gab es zwei Aufrufe, einen wie schon seit vielen Jahren üblich vom Hamburger Forum [1]und einen von der „Volksinitiative gegen Rüstungsexporte“, die auf ihrer Website zahlreiche Gruppen als Unterstützerinnen ihres Anliegens auflistet[2]. Bei allen sprachlichen Unterschieden und unterschiedlichen Schwerpunkten gibt es jedoch drei deutliche Übereinstimmungen:
- Mit Ausnahme der Ukraine und Israels wird keines der Länder benannt, deren Bevölkerungen unter Krieg und seinen Folgen massiv leiden. 240.000 getötete und Millionen verletzte und weitere Millionen vom Hungertod bedrohte Menschen wurden für 2022 gezählt: vor allem im Jemen, Myanmar, Syrien, in der Demokratischen Republik Kongo, im Südsudan und Äthiopien. Gewiss sind die OstermarschiererInnen mit all diesen Kriegen nicht einverstanden. Aber warum werden sie in den Aufrufen nicht einmal erwähnt?
- Auch der Krieg Russlands unter der Führung von Präsident Putin gegen die Ukraine kommt praktisch nicht vor, wird weggeschwiegen. Geschrieben wird allerdings von „einem verheerenden Abnutzungskrieg in der Ukraine“ und der Stationierung von (Nato-)Truppen an Russlands Grenze. Ursache (der russische Angriff auf die Ukraine 2022) und Folge (Abnutzungskrieg) werden einfach vermischt. Stattdessen die gleichermaßen forsche wie schlichte und in der Schlichtheit falsche Analyse: „Größenwahnsinnige wollen uns gegen Russland und China kriegstüchtig (Pistorius) machen.“
- Ein einziges Land aber gibt es, das konkret für seine Politik genannt und angegriffen wird: Israel. Dabei wird in Anwendung der für die antisemitische Ideologie typischen Täter-Opfer-Umkehr nicht die islamistische Terrororganisation Hamas, sondern der Staat Israel des Völkermords beschuldigt. So fordert das Hamburger Forum hervorgehoben: „Schluss mit deutscher Unterstützung der israelischen Aggression!“ Man beruft sich dabei auf Südafrikas Behauptung eines Völkermords und der Feststellung des UN-Hochkommissars von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Und danach folgt in einfacher Umkehrung der Fakten der Satz: „Auch die Hamas hat mit ihrem Angriff auf israelische Zivilisten das Völkerrecht verletzt.“ Dass die Hamas mit ihrem Angriff am 7.10. den größten Massenmord an Juden seit 1945 begangen und damit den Krieg gegen Israel begonnen hat, wird genauso verschwiegen wie die Tatsache, dass die Hamas ihren Angriff ausdrücklich als Schritt ihres Vernichtungs-Vorhabens gegen die Juden und gegen ihren Staat Israel versteht.
Ganz ähnlich sieht auch die „Volksinitiative“ einen „brutalen Völkermord in Gaza“ und sieht sich dabei gestärkt durch die südafrikanische Klage vor dem Internationalen Gerichtshof, die „Teil des notwendigen weltweiten Aufbruchs für Frieden, internationale Solidarität und gemeinsame Entwicklung ist“. Die „Volksinitiative“ postuliert: „Gemeinsam kämpfen wir für: Einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza und echte Friedensverhandlungen.“
Vor dem Hintergrund des Völkermord-Vorwurfs nimmt sich die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand vergleichsweise harmlos aus. Man ist sich da ja auch einig mit dem amerikanischen Präsidenten, der deutschen Regierung, der EU und der UNO und großen Teilen der israelischen Gesellschaft. Dabei geht es vorrangig darum, das Leiden der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen zu verringern und wenn möglich zu beenden. Kein Gedanke und darum auch kein Wort aber dazu, dass das am schnellsten durch eine Kapitulation des Kriegsverursachers, also der Hamas, erreichbar wäre, die schon vor dem 7. Oktober die Verelendung und Entrechtung der Menschen im Gazastreifen massiv vorangetrieben hatte. Vor allem der Iran und Katar als die größten Finanziers der Hamas hätten die Möglichkeit, die diese zur Kapitulation zu zwingen. Doch das wird von den Ostermarsch-Aufruferinnen nicht gefordert, ebenso wenig wie die Freilassung der (jüdischen!) Geiseln. Es sieht so aus, als wolle man der Hamas, die offenkundig von vielen noch für eine Widerstands-Organisation gehalten wird, nicht zu nahe treten und den Ostermarsch damit zugänglich zu machen für Hamas-Parolen wie zum Beispiel „Free Gaza“.
Solche Parolen hat es dann auch reichlich beim Ostermarsch am 1. April gegeben, besonders auffällig auf einem großen Transparent mit der Forderung: Free Gaza from ´Wiedergutmachung´. Einmal abgesehen davon, dass sich diese Parole, nähme man sie wörtlich, direkt gegen die Menschen im Gazastreifen richtet, ist sie vor allem ein Klassiker aus dem Sprüchekasten des Antisemitismus. Denn sie unterstellt, dass die verletzten und getöteten Menschen im Gazastreifen Opfer einer angeblichen deutschen Wiedergutmachung wären.
Ein anderes, allerdings kleineres Schild fordert, dekoriert mit einer Deutschland Flagge: „Stop Kindertöten“. Hier wird eine der antisemitischen Lieblings-Obsessionen vom „Kindermörder Israel“ und den Juden, die Kinder entführen, bedient.
Fast niedlich mutet dagegen eine Behauptung an, die ein älterer Mensch stolz dem Ostermarsch-Publikum präsentierte: „Deutsche wollen keinen Krieg“.
Von ihrer friedlich-österlichen Seite zeigten sich dann mit einem riesigen Transparent eine Gruppe von echten Palästina-Freunden: „Rote“ Flora – Halt´s Maul – Gegen den antipalästinensischen Konsens. Zur Erinnerung: die Rote Flora, ein lange erkämpftes linkes Stadtteilzentrum, hatte unmittelbar nach dem Hamas-Terrorangriff ein großes Transparent an ihr Gebäude angebracht: „KILLING JEWS IS NOT FIGHTING FOR FREEDOM Wir sind solidarisch mit allen Menschen in Israel und allen Jüdinnen und Juden weltweit – YOU ARE NOT ALONE!“ Diese Solidaritätserklärung für jüdische Menschen und für Israel war für einige Friedensfreunde offenbar eine Zumutung und wurde darum übermalt. Beim Ostermarsch wurde dieser Solidarität gleich ein Sprechverbot erteilt: Halts Maul“, verbunden mit der gegen alle Fakten erstaunlich zählebigen Behauptung eines „antipalästinensischen Konsens“.
Es muss festgehalten werden, dass keine dieser Parolen und Schilder auf erkennbaren Widerspruch der Ostermarsch-Veranstalter gestoßen ist. Ebenso wenig gab es die Forderung nach der Kapitulation der Hamas. Der Iran (der auch Russland mit Waffen beliefert) als wichtigster Unterstützer und Einpeitscher der Hamas wird beschwiegen. Die Not und Unterdrückung von hunderttausenden palästinensischen Menschen vor allem im Libanon und in Jordanien interessierte die Ostermarschiererinnen nicht. Dazu passt, dass es in den Aufrufen keine Solidarisierung mit den zahlreichen Demonstrationen in Israel gegen die Kriegspolitik Netanjahus gibt. Es interessiert nur, was sich als Anklage gegen den Judenstaat Israel verwenden lässt. Als eine zentrale Botschaft des Ostermarsches klagt die Rednerin von der Gruppe „Palästina spricht“ Israel an: „Völkermord, Kriegsverbrechen, ethische Säuberungen, Siedlerkolonialismus, Apartheid.“ [3]
Es schmerzt zu sehen, wie sich der Ostermarsch in seiner fast obsessiven Fokussierung gegen Israel einreiht in die alte Litanei „Die Juden sind an allem schuld“. Solange Juden und ihr Staat immer wieder als Projektionsflächen für die eigene Unfähigkeit zum Frieden herhalten müssen, wird es keinen Frieden geben können.
[1] https://www.friedenskooperative.de/ostermarsch-2024/aufrufe/hamburg
[2] https://ziviler-hafen.de/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=OOn-SG-wDH4 – Bei Position 4.35
Bildquellen
- 3: Auschnitt Aufruf
- Foto Ostermarsch: selbst
- Beitragsfoto Ostermarsch 2024: Montage selbst
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