10 Jahre Rekommunalisierung der Energienetze

10 Jahre Rekommunalisierung der Energienetze

Vor 10 Jahren stimmte Hamburg für die Rekommunalisierung der Energienetze. Die vorangegangenen Auseinandersetzungen waren intensiv, es ging offenkundig um etwas. Um was und wie viel, wurde den meisten erst durch die Heftigkeit des Streits bewusst. In diesen Wochen finden nun zahlreiche Veranstaltungen statt, bei denen in sehr unterschiedlicher Weise auf Anlass, Folgen und die bleibende Bedeutung des Volksentscheids geschaut wird:

  • Die Akademie der Wissenschaften lädt zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung am 18.9. um 18.30 Uhr ein: siehe hier
  • BUND und Andere laden zu einem Workshop am 12.9. um 18 Uhr ein: siehe hier
  • Und wer will, kann auch den damaligen Erfolg – auch auf Einladung von BUND und anderen – am 22.9. ab 19 Uhr einfach feiern: siehe hier.

Die Stadt selbst würdigt das Geschehen mit einem Senatsempfang. Die Fraktion der Linken hat zudem eine Große Anfrage an den Senat gestellt. Einzelheiten dazu und noch manches mehr sind hier im wunderbaren Blog umweltfairaendern zu lesen.

 

Einen eigenen Rückblick von mir gibt es hier:

Man kann tief in die Kiste greifen (Die Wahrheit ist konkret) oder auch etwas weniger (Entscheidend is’ auf’m Platz). Gemeint ist jeweils, dass es darauf ankommt, den Transfer von Theorie und Praxis auf den Punkt hin, auf den es ankommt, hinzubekommen … oder etwas genauer: ihn hinbekommen zu wollen. Das beschreibt recht präzise – ein erster Aspekt – meine Motivation und Überzeugung, dass sich der Kirchenkreis, für den ich damals tätig war, im Bündnis mit anderen Organisationen in der sich 2010 stellenden Situation engagieren müsse.

Denn es gab auch schon damals die gefestigte Erkenntnis und eine entsprechende Beschlusslage, derzufolge die Privatisierung und damit meist einhergehende Kommerzialisierung von dem, was der Daseinsvorsorge zugerechnet werden muss, abzulehnen und – wo möglich – zu verhindern oder zurückzudrehen ist. Diese Einsicht war und ist beileibe kein Alleinstellungsmerkmal der evangelischen Kirche, sondern findet sich ähnlich auch in Beschlüssen der SPD und der Gewerkschaften. Insofern lag es nahe, die Gelegenheit der nach 20 Jahre auslaufenden Konzessionsverträge über das Eigentum der Hamburger Energienetze beim Schopfe zu ergreifen und die Verfügung über diese wichtige Infrastruktur in die öffentliche Hand zurückzuholen.

Warum war und ist das wichtig? Die Konzessionsverträge waren Ausdruck der in den späten 70er Jahren nicht nur in Deutschland eingeleiteten neoliberalen Transformation und stellten eine Form der Privatisierung öffentlichen, meist kommunalen Eigentums dar. Damals wurden nach und nach öffentliche Unternehmen aus nahezu allen Bereichen der Infrastruktur (teil-)privatisiert. Dabei ging es auch um Güter, die die materielle Grundlage der Daseinsvorsorge darstellen und deshalb für das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes von großer Bedeutung sind: Der Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 GG erfordert die voraussetzungslose Gewährleistung des Existenzminimums und die Ermöglichung einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Hier hat die staatliche Verantwortung für die Daseinsvorsorge ihren Ort und mit ihr die besondere Bedeutung öffentlicher Güter. Denn auf dieser Grundlage fungiert der Staat gegenüber seinen Bürger*innen als deren Treuhänder, er ist nicht Eigentümer, der die Bürger*innen zu Bittstellern oder Kunden macht.

Der Prozess der Privatisierung öffentlicher Unternehmen führt in diesen sensiblen Bereich (privat-)wirtschaftliche Mechanismen ein – wie die Herstellung von Märkten oder die Gewinnerzielungsabsicht. Diese Entwicklung verändert das System der Daseinsvorsorge von innen heraus und beschädigt es in ihrem Kern. Das hat vor allem damit zu tun, dass das Anlageinteresse privaten Kapitals anders ausgerichtet ist als das des Gemeinwesens. So stehen die private Erwartung gesicherter, möglichst hoher Renditen auf das eingesetzte Kapital, Konzentration auf ertragreiche Zentren, geringer Erhaltungsaufwand über die begrenzte Vertragslaufzeit und die Bewahrung von Geschäftsgeheimnissen dem öffentlichen Interesse an Flächenabdeckung, Qualität und Dauerhaftigkeit, Transparenz und öffentlicher Kontrolle gegenüber. Man muss nicht allzu weit schauen, um zu erkennen, welche verheerende Wirkung von diesem Prozess der Privatisierung ausgehen kann.

Aus diesem Grund ging es beim Start der Volksinitiative 2010 eben nicht „um Kabel und Rohre“, sondern darum, eine Entwicklung zu stoppen und umzukehren. Hinzu kam, dass die öffentliche Verfügbarkeit über die Energieinfrastruktur von herausragender Bedeutung für das sein würde, was 2010 noch alles Andere als politischer Konsens war: nämlich die Notwendigkeit einer umfassenden Energiewende.

Vor diesem Hintergrund erschließt sich – so der zweite Aspekt – nicht nur die im Rückblick noch gestiegene Bedeutung des Volksentscheids, sondern auch die Heftigkeit der damaligen Auseinandersetzung. Dass die beiden Konzessionsinhaber und Unternehmensverbände Sturm laufen würden, war nachvollziehbar und absehbar. Dass aber die Hamburger SPD unter der Führung von Scholz sich mit großem Engagement in deren Bündnis einreihte und dass in diesem Gefolge sich nennenswerte Teile der Gewerkschaften neutralisieren ließen, war bemerkenswert. Dabei war ziemlich früh klar, dass die Initiative um den BUND, die Verbraucherzentrale und den Kirchenkreis Hamburg-Ost gerade aus der Mitgliedschaft der SPD und der Gewerkschaften viel Zuspruch und Unterstützung erhalten würde, insb. nachdem das Hamburger Abendblatt einen damals viel beachteten „Faktencheck“ veröffentlichte. Dass es dann sogar für die knappe Mehrheit reichte, machte deutlich, wie stark die Unterstützung der Volksinitiative gerade aus diesen Kreisen war. Vermutlich hat das auch dazu beigetragen, dass der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD noch in der Nacht der Abstimmung die ersten Schritte für die Umsetzung des Volksentscheids skizzierte – und es sah nicht so aus, als litte er dabei.

Bleibt ein drittes: Für alle beteiligten Organisationen, je für sich, aber auch für die Kontexte, in denen sie wirken, und die Gesellschaft als Ganze wäre es sinnvoll, solche Auseinandersetzungen, die auch mit teilweise großen internen Spannungen einhergingen, in angemessener Öffentlichkeit auszuwerten, mit zeitlichem Abstand und Sorgfalt.

Das aber ist weitgehend ausgeblieben. Im kirchlichen Kontext wurde in erster Linie und ängstlich dem Vorwurf nachgegangen, dass für dieses Engagement auch Kirchensteuermittel verwendet wurden, in den Gewerkschaften hörte man es – auch aus den Führungsetagen – etwas rumpeln und in der SPD schien man froh zu sein, jetzt das ohnehin mehrheitlich Gewünschte umsetzen zu können. So aber, das ist zu befürchten, lernt niemand wirklich etwas aus dem ganzen Geschehen: Irgendwie wirkten alle froh, dass die Gefahr, die sich aus der Konkretisierung von Grundsatzbeschlüssen ergeben hat, vorüber ist. Auch was das im Umgang mit dem – aus meiner Sicht  nicht unproblematischen – plebiszitären Instrument bedeutet, ist nur im politischen Alltag vollzogen, nicht wirklich aufgearbeitet worden. Dabei wäre genau das wichtig, damit alle je für sich und gemeinsam aus solchen Prozessen des Erfolgs und des Scheiterns lernen.

 

Bildquellen

  • BUND-News_0923_UHUN-1: selbst

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