Menschen und Märkte

Menschen und Märkte

„Privatisierung öffentlicher Güter“ –  ein Dauerthema, das sich allerdings selten über gesellschaftliche Konflikte zugespitzt entwickelt und darum öffentlich wenig wahrgenommen wird. Zu Unrecht, denn die Brisanz dessen, was sich hier tut, ist enorm, auch in grundrechtlicher Perspektive, weil öffentliche Güter die materielle Grundlage für die Gewährleistung der Daseinsvorsorge darstellen.

Seit den 1980er Jahren werden öffentliche Unternehmen aus nahezu allen Bereichen der Infrastruktur systematisch und kontinuierlich (teil-)privatisiert. Am bekanntesten sind sicher Telekommunikation, Bahn und Post. In 2017 ging es um die Autobahnen. Der Bundestag beschloss 13 Grundgesetzänderungen, damit der Bund für die Verwaltung der Fernstraßen eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft gründen kann, die dann ihrerseits im Rahmen öffentlich-privater-Partnerschaft (ÖPP) Verträge mit Privatfirmen schließen kann. Eine ähnliche Konstruktion beschloss der Berliner Senat, der einer privatrechtlichen Infrastrukturgesellschaft die Sanierung und Neubau von Schulen überträgt. Möglichkeiten der Privatisierung spielen eine Rolle auch beim sogenannten „Digitalpakt“ für eine bessere Ausstattung der Schulen. Angesichts der Wohnungsnot gehört auch der staatliche Umgang mit seinem Eigentum an Grund und Boden zu den aktuellen Beispielen.

Dieser Beitrag erschien im Mai 2019 im “Grundrechtereport 2019“.

So unterschiedlich die Anlässe auch sind: In allen geht es um die Verfügbarkeit über Güter, die die materielle Grundlage der Daseinsvorsorge darstellen und deshalb für das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes von großer Bedeutung sind. Dieses Prinzip ist in Art. 20 und 28 GG nur sehr allgemein und offen postuliert, an keiner Stelle etwa in Form eines bindenden Sozialstaatsmodells verankert. Darin spiegelt sich die Kontinuität der ordoliberalen Schule, deren Anhänger nach 1945 ihre auf einem liberalen Marktverständnis beruhende Konzeption durchsetzten. Für sie stellte der Begriff der „sozialen Marktwirtschaft“ ein hilfreiches Narrativ dar, keine verfassungsrechtlich bindende Kategorie.

So war es vor allem das Bundesverfassungsgericht, das die Ausgestaltung des Sozialstaatspostulats zu einer Sozialordnung entwickelte. Bezugspunkt dabei war vor allem der Gedanke, dass der Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 GG die voraussetzungslose Gewährleistung des Existenzminimums und die Ermöglichung einer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erfordert. Hier hat die staatliche Verantwortung für die Daseinsvorsorge ihren Ort und mit ihr die besondere Bedeutung öffentlicher Güter. Denn auf dieser Grundlage fungiert der Staat gegenüber seinen Bürger*innen als deren Treuhänder, nicht als Eigentümer, der die Bürger*innen zu Bittstellern oder Kunden macht.

 

Beschädigung der Daseinsvorsorge

Diese Bindung der Daseinsvorsorge an öffentliches Eigentum mit der damit gewährleisteten uneingeschränkten öffentlichen Verfügbarkeit wird Schritt für Schritt gelöst. Das ist erklärtes Ziel und schlägt sich im G20-Kontext („Global Infrastructure Connectivity Alliance“), in der EU (Juncker-Plan) und in Deutschland (Fratscher-Kommission) programmatisch nieder. Diese Strategien werden ausgewiesen als Reaktion auf die viel zu niedrigen öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur. Deren Folgen sind auch in Deutschland sichtbar, z. B. an schlecht ausgestatteten Schulen, maroden Verkehrswegen und anderen Bereichen der Daseinsvorsorge.

Das ist jedoch nicht zufällig entstanden: Veränderte haushalts-, steuer- und finanzpolitische Rahmenbedingungen, insbesondere die Einführung von Schuldenregeln (z. B. Maastricht-Kriterien, Schuldenbremse) erschweren es vor allem den Kommunen, die gerade ihnen zugeschriebene Funktion für die Daseinsvorsorge zu erfüllen, hier gibt es einen regelrechten Substanzverzehr. Statt für eine auskömmliche öffentliche Finanzierung des Gemeinwesens zu sorgen, wird mit dieser Politik das langfristig angelegte Ziel verfolgt, privatem Kapital den Zugang zu öffentlichen Gütern und damit zu Bereichen der Daseinsvorsorge zu ermöglichen und die dafür notwendigen rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Mal ist das eine ziemlich unscheinbar daherkommende Änderung des Sozialgesetzbuches VIII, mal wie jetzt bezüglich der Fernstraßen ein umfangreiches Gesetzeskonvolut.

Dabei werden unterschiedliche Wege der Privatisierung eingeschlagen. Allen aber ist gemeinsam, dass mit ihnen (privat-)wirtschaftliche Mechanismen – wie die Herstellung von Märkten oder die Gewinnerzielungsabsicht – Einzug in ein System erhalten, das für das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes von zentraler Bedeutung ist. Diese Entwicklung verändert das System der Daseinsvorsorge von innen heraus und beschädigt es in ihrem Kern. Das hat vor allem damit zu tun, dass das Anlageinteresse privaten Kapitals anders ausgerichtet ist als das des Gemeinwesens. So stehen die private Erwartung gesicherter, möglichst hoher Renditen auf das eingesetzte Kapital, Konzentration auf ertragreiche Zentren, geringer Erhaltungsaufwand über die begrenzte Vertragslaufzeit und die Bewahrung von Geschäftsgeheimnissen dem öffentlichen Interesse an Flächenabdeckung, Qualität und Dauerhaftigkeit, Transparenz und öffentlicher Kontrolle gegenüber.

 

Vermarktlichung des Sozialen

Wirksam wird aber vor allem eine Vermarktlichung des Sozialen. Das ursprünglich treuhänderische Binnenverhältnis von Staat und Gesellschaft, abgeleitet aus einer öffentlichen Verantwortung und gemeinsamer Bewirtschaftung von Allmenden, erodiert durch das auf Privateigentum basierende alleinige Verfügungsrecht. Bürger*innen werden zu Kunden, um deren Geld verschiedene Anbieter konkurrieren. Deren Entscheidungen werden von Leuten und Gremien gefällt, die sich nicht mehr öffentlich verantworten müssen. Vor diesem Hintergrund versteht sich auch die Umstellung großer Bereiche der Daseinsvorsorge von der Objekt- auf die Subjektfinanzierung: Die systemische Vorsorge wird dadurch individualisiert, dass der einzelne Kunde mit Geld ausgestattet wird, um auf dem Markt agieren zu können: Wohngeld statt Wohnungsgemeinnützigkeit, kapitalmarktbasierte statt umlagefinanzierte Altersversorgung, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Das hat weitreichende Folgen: Menschen werden gezwungen, als eine Art Ich-AG eigenes Risikomanagement zu betreiben, was dem in Art. 1 GG zugrundeliegenden Menschenbild widerspricht. Untersuchungen über die Auswirkungen der Vermarktlichung von schulischen Bildungsangeboten (z. B. Bildungsgutscheine, Schulwahlfreiheit) zeigen, dass dadurch das Problem ungleicher Lebensbedingungen verschärft und die Abwärtsspirale ärmerer Stadtteile beschleunigt werden. Untersuchungen der Rechnungshöfe haben ergeben, dass ÖPPs deutlich teurer sind als veranschlagt. Das weist darauf hin, dass nicht nur die einzelnen Bürger*innen durch bestehende Machtasymmetrien in für sie kaum noch gestaltbare Abhängigkeiten geraten, sondern auch Kommunen oder Länder, die die Konsequenzen der oft vieltausend Seiten starken Verträge nicht überblicken. Der aktuell vor Gericht geführte Streit über die mangelnde Auskömmlichkeit der Mauteinnahmen auf der als ÖPP sanierten A1 ist in vielerlei Hinsicht ein Lehrstück über die fatalen Konsequenzen einer auf privatwirtschaftlicher Logik basierenden Entscheidung. Private, kommerziell agierende Unternehmen greifen nach den lukrativen Segmenten der Daseinsvorsorge und überlassen der öffentlichen Hand die „schwierigen Reste“.

Auf lange Sicht reduziert das die öffentliche Daseinsvorsorge zu einer Elendsverwaltung mit allen entsprechenden individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Das stellt ziemlich genau das Gegenteil dessen dar, was mit dem Sozialstaatsprinzip verfassungsrechtlich angelegt ist.

Erfreulich ist, dass es immer wieder erfolgreichen Widerstand gegen diese Entwicklungen gibt. So musste in Berlin auf starken Protest hin die Privatisierung der Wasserversorgung zurückgenommen werden. In Hamburg wurde die Rekommunalisierung der Energienetze erstritten. Notwendig wäre allerdings ein über diese Einzelanlässe hinausgehender Widerstand gegen die Politik der Privatisierung öffentlicher Güter.

Literatur

Mattert, Jana / Valentukeviciute, Laura / Waßmuth, Carl: Gemeinwohl als Zukunftsaufgabe, Öffentliche Infrastrukturen zwischen Daseinsvorsorge und Finanzmärkten, Berlin 2017

Ptak, Ralf / Aghamiri, Kathrin: Privatisierungstrends an allgemeinbildenden Schulen, in: Gürlevik, Aydin u.a. (Hrsg.): Privatschulen versus staatliche Schulen, Wiesbaden 2013

Thiele, Katja / Waßmuth, Carl: Aktuelle Entwicklungen bei der Privatisierung der Daseinsvorsorge in Deutschland mit besonderem Fokus auf Bundesfernstraßen, Berlin 2016

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