Nur ein Säuseln im Kriegsgeschrei? Synode der Nordkirche ersetzt Klarheit durch Einstimmigkeit
Anfang Juni hat die Synode der Nordkirche eine Erklärung zu dem aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine beschlossen, und zwar einstimmig, wie mit leisem Stolz vermerkt wird. Doch in diesem Bedürfnis nach Einstimmigkeit liegt das Problem. Es gibt keine Kanten, keine Widersprüche, keine selbstkritischen Reflexionen und keine Kontroversen. Darum ist es auch kein Wunder, dass diese Erklärung weder innerkirchlich noch gesellschaftlich beachtet worden ist. Und mensch könnte achselzuckend, enttäuscht oder ironisch – je nach Gusto – dabei zusehen, wie sich „die Kirche“ inhaltlich selbst verzwergt und unwichtig macht. Doch etwas spricht gegen dieses Zusehen:
Es handelt sich bei der Synode der Nordkirche ja nicht nur um ein um sich selbst kreisendes (Leitungs-) Gremium, sondern um Menschen, von denen viele in der Friedens-Bewegung engagiert waren, wie zum Beispiel beim Kirchentag 1981 in Hamburg, die sich klar und eindrücklich gegen die Regierungspolitik immer weiterer Aufrüstung positionierte. „Frieden schaffen ohne Waffen“ oder „Schwerter zu Pflugscharen“ war auf den Transparenten zu lesen, die wir seitdem und über viele Jahre gemeinsam durch die Straßen, aber auch in Kirchen und Gemeindehäuser trugen. Debatten, Streit und massive Kontroversen gehörten dazu. Aber gerade diese Auseinandersetzungen waren notwendig, um die verschiedenen Denkansätze und Zugänge in ihrer Gesamtheit wirksam werden zu lassen. Nur so war es möglich, in den unterschiedlichsten und sich teilweise auch befeindenden Strömungen der Friedensbewegung, den öffentlichen Diskurs zu prägen und auch darin erfolgreich zu sein, die Meinungsbildung in den Kirchen maßgeblich zu beeinflussen. Viele der damaligen Mitstreiterinnen und Mitstreiter konnten sich dann haupt- oder ehrenamtlich in den Gemeinden und kirchlichen Gremien etablieren und teilweise Karriere machen, andere – das sollte nicht übersehen werden – nahmen berufliche Nachteile in Kauf. So konnte mensch sogar die Hoffnung haben, dass auch die offizielle Kirche sich aus ihrer jahrzehntelangen selbstgewählten Abhängigkeit von den militärpolitischen Ambitionen der deutschen Politik emanzipieren würde, und in bestimmten friedenspolitischen Politikfeldern, z. B. hinsichtlich der Rüstungsexporte, war das in einem gewissen Maße auch der Fall.
Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung der Nordkirchensynode bedeutsam. Denn in ihr wie auch in etlichen anderen kirchlichen Stellungnahmen zum Ukrainekrieg vollzieht sich eine weitgehende Einordnung in das militärpolitische Denken und Handeln der Regierungspolitik. Warum ist das so? Wie konnte es dazu kommen?
Die Synodenerklärung verbirgt in ihrer wortreichen Harmlosigkeit doch einige Andeutungen, Phrasen und Leerstellen, die aufzudecken und zu analysieren sinnvoll ist, weil sie typisch sind für den kirchlichen und gesellschaftlichen Diskurs zu Ukraine-Krieg und Aufrüstung.
* „Die Synode beteiligt sich an der Schärfung friedensethischer Kriterien und bedenkt diese in leidenschaftlichen, aber dabei sachlichen und differenzierten Debatten. Sie hält die Not aus, sich gegebenenfalls zwischen Schuld und Schuld positionieren zu müssen“, heißt es im ersten Teil der Erklärung. Doch die Not ist selbst gewählt, denn warum MUSS sich die Synode positionieren? Und wenn sie sich schon positionieren will, warum um Gottes willen dann für die mit Panzerlieferungen verbundene Schuld und nicht für die Schuld, die mit der Waffenverweigerung verbunden ist? Eine Teilantwort findet sich bei Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs: „Wir werden in jedem Fall Schuld auf uns laden, was immer wir tun und was immer wir lassen“, sagte Fehrs. Sie habe keine besseren Antworten als die Politik. Und entsprechend wird die Bischöfin dann konkret: „Waffenlieferungen könnten das kleinere Übel sein.“
* Gleich zweimal positiv erwähnt die Synodenerklärung den gewaltfreien Widerstand, immerhin. Aber warum wird die dem gewaltfreien Widerstand zu Grunde liegende Position des Pazifismus mit keinem Wort erwähnt? Gilt auch hier das Votum der Bischöfin, die in einer Hamburger Hauptkirche erklärte: “Naivität können wir uns nicht mehr leisten“?
* Weiter heißt es: „Die Synode fordert den Schutz von Soldatinnen und Soldaten, die sich in diesem Krieg nicht beteiligen wollen.“ Dieser Schutz besteht in der Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung als Asylgrund. Warum also wird die Synode nicht konkret und fordert ein (generelles) Asylrecht? Ist auch dieser Begriff zu brisant?
* Am schwersten wiegt aber die implizite einhellige Zustimmung der Synode zu dem 100 Milliarden Euro Sonderfonds für die deutsche Rüstung und den damit gewählten Einstieg in einen epochalen Aufrüstungsschub. Dieser wird nicht abgelehnt und noch nicht einmal infrage gestellt, wenn es heißt: „Einer wachsenden verbalen Aufrüstung in Diskussionen und mediale Darstellungen stellt sich die Synode entgegen. Stattdessen gilt es, eine besonnene Analyse zu fördern und bereits jetzt Perspektiven von Gerechtigkeit und Versöhnung nach dem Kriegsgeschehen vorzubereiten. Dazu gehört die Stärkung der Vereinten Nationen. Konkret fordert die Synode, dass entsprechend dem finanziellen Aufwand für Aus- und Aufrüstung der Bundeswehr intensive Investitionen in zivile Friedensarbeit beschlossen werden, insbesondere für die Bereiche Gerechtigkeit, Klimaschutz, Entwicklung und Bildung.“
Bei alledem liegt die Vermutung nahe, dass dem Bedürfnis der Synodenmitglieder nach Einstimmigkeit die Eindeutigkeit geopfert wurde. Ich hatte mir bislang nicht vorstellen können, dass Mitglieder einer kirchlichen Synode, die sich dem Kontext der Friedensbewegung zuordnen – vielleicht aber gibt es sie auch gar nicht mehr –, diesen Schritt einer impliziten Zustimmung zu einem gewaltigen Aufrüstungsprogramm zu gehen bereit sind. Im Synodentext ist zwar von leidenschaftlichen Debatten die Rede, aber davon ist nichts zu spüren. Was treibt die Angst, zwei oder drei kontroverse Positionen in einer Erklärung zu benennen? Diese würden ja auch die Wirklichkeit in den kirchlichen und gesellschaftlichen Debatten glaubwürdiger abbilden und Vergleich und Dialog fördern.
Auch wenn es schwerfällt, muss man verstehen und ernst nehmen, was diese Erklärung bedeutet: Der verbalen Aufrüstung will sich die Synode entgegenstellen, die reale Aufrüstung wird nicht infrage gestellt. Denn die „Investitionen in zivile Friedensarbeit“ werden zum einfachen Appendix der Aufrüstung. Und was heißt „entsprechend“? Nähme die Synode ihre eigenen Worte ernst, müsste sie sich für weitere Rüstungsausgaben einsetzen, weil dadurch auch mehr Investitionen in zivile Friedensarbeit ermöglicht würden.
Sieht so die im Anfangsteil der Erklärung deklarierte „Schärfung friedensethischer Kriterien“ aus? Und sollen mit der impliziten Zustimmung zur Aufrüstung „bereits jetzt Perspektiven von Gerechtigkeit und Versöhnung nach dem Kriegsgeschehen“ vorbereitet werden? Man mag kaum glauben, dass das wirklich so gemeint ist. Aber so steht es da. (In diesem Zusammenhang soll zumindest kurz darauf hingewiesen werden, dass die Synode der Nordkirche entsprechend der Regierungspolitik kein kritisches Wort zu den völkerrechtswidrigen Angriffen des NATO-Partners Türkei in Syrien und im Irak findet.)
Am vorläufigen Ende bleibt die beunruhigende Frage: Warum findet sich, abgesehen von der knappen biblischen Einräumung des Synodentextes kein einziges Wort, keinen Gedanken an Jesus, den von den Kirchen, auch der Nordkirche, bezeugten Christus, der wie alle Menschen seines Volkes unter einer imperialen Gewaltherrschaft gelitten hat – und dennoch und verzweifelt Gewaltverweigerung und Pazifismus treu blieb und dies auch von seinen Jüngerinnen und Jüngern erwartete. Ja, es gibt gewiss nachvollziehbare Gründe, ihm darin nicht zu folgen. Sogar eine christliche Synode kann hier die Nachfolge verweigern, wie es für die allermeisten christlichen Kirchen 1800 Jahre lang der Fall war. Aber was ist davon zu halten, dass dieser grundlegende Widerspruch in der Erklärung nicht einmal zum Thema gemacht wird?
Hinweis:
Anlässlich der 2014 geführten Diskussion um ein militärisches Engagement im Kontext des Krieges in Syrien veröffentlichte das Nordkirchen-Magazin “weitblick” diesen Beitrag von Theo Christiansen mit konkreten wie grundsätzlichen Gedanken zum Pazifismus, der heute – auch angesichts der jüngsten Erklärung der Nordkirche – nichts von seiner Aktualität verloren hat. (Hier als pdf.)
Bildquellen
- Frieden schaffen ohne Waffen: Eigenes Foto
No Comment