Den Judenhass verhüllen ?

Den Judenhass verhüllen ?

In Wittenberg, dem spirituellen Zentrum des deutschen und weltweiten Protestantismus lutherischer Prägung, befindet sich an der Stadtkirche eine Skulptur, die in der schon beleidigenden Kombination der Worte „Juden“ und „Sau“ seit einigen Jahren zum Fixpunkt einer heftigen Kontroverse geworden ist.  Zahlreiche Kritiker fordern die Abnahme und einen Standort, in dem Luthers Antisemitismus und seine Wirkungen bis hin zum antijüdischen NS-Vernichtungswahn dokumentiert wird.  Die Kirchengemeinde will das Relief am alten Ort belassen und hält eine Gedenkplatte mit einer höchst problematischen, ans Antisemitische grenzenden Botschaft für einen ausreichenden Kommentar. Sie findet dabei Unterstützer wie Friedrich Schorlemmer und den Historiker Michel Wolffsohn, aber auch auf Initiative der AFD den Wittenberger Stadtrat

Seit Michael Düllmann, Mitglied einer jüdischen Gemeinde, mit einer Beleidigungsklage, die in absehbarer Zeit vor dem Bundesgerichtshof verhandelt wird, breite mediale Aufmerksamkeit bewirkt hat, werben prominente Kirchenvertreter für einen „Kompromiss“: Der Judenhass soll bleiben, aber verhüllt werden. Was davon zu halten ist und welche Argumente die Gemeinde selbst vorbringt, wird in dem folgenden Beitrag, der auch in der “Jungen Kirche” (2/2020) erschienen ist, genauer analysiert.

 

Den Judenhass verhüllen?

Einige Argumente im Streit um die Kirchensau in Wittenberg zeugen von traditioneller Juden-Verachtung

Während die Gemeinde im Vorfeld des großen-Reformationsjubiläums 2017 mit öffentlicher Unterstützung auch das berühmt-berüchtigte Schmährelief an der Stadtkirche sorgfältig renovieren ließ, entstand bald die Forderung nach Abnahme und einer kontextualisierten Präsentation dieses widerlichsten Zeugnisses des lutherischen Antisemitismus. Es zeigt eine Sau, an der sich jüdische Kinder nähren und ein Rabbiner zu schaffen macht. Darüber ist in goldenen Lettern zu lesen: „Schem Hamphoras“, den Titel einer antijüdischen Schmähschrift von Martin Luther aufnehmend. Darum wird dieses Relief sachgemäß auch als Luthersau oder Kirchensau benannt. Die Gemeinde und ihre Unterstützer allerdings halten in der Regel noch an der bösartigen Kombination der Worte „Juden“ und „Sau“ fest. Vor allem aber halten sie mit allen Mitteln an dem Relief selbst fest und bekamen dafür 2017 auch viel prominente Unterstützung, u.a. von Landesbischöfin Ilse Junkermann, Margot Käßmann (die allerdings vor wenigen Monaten ihre Haltung revidiert hat), Prof. Thomas Kaufmann[1] und von Friedrich Schorlemmer. Schorlemmer setzt sich bis heute bei auffällig pathetischer Distanzierung von dem Schmährelief gleichzeitig vehement für dessen Verbleib an der Kirche ein als „Stachel im Fleisch“. Schorlemmer meint natürlich „Stachel im Fleisch“ der Kirche. Aber er ignoriert dabei, dass der einzige Zweck der Kirchensau ebendarin besteht, jüdische Menschen zu kränken und zu verletzen.

Einer von ihnen ist Michael Düllmann, Mitglied einer Berliner jüdischen Gemeinde. Er hat nach vielen vergeblichen Protesten vor zwei Jahren Klage gegen die Gemeinde auf Entfernung der Schmähreliefs eingereicht und damit die Debatte auch über die Kirchengrenzen hinaus wieder in Gang gebracht. Der Gemeinde und ihren Sympathisanten wurde damit noch einmal Gelegenheit gegeben, ihre starre Haltung zu bedenken. Aber nichts dergleichen geschah. Vielmehr werden Argumente ins Feld geführt, die eine erschreckende Toleranz für oder sogar Nähe zu klassischen oder modernen antisemitischen Klischees offenbaren.

 

Antisemitischer Hass – „keine tadellos perfekte Geschichte“

In der liberal-protestantischen Monatsschrift ZEITZEICHEN[2] wird Dr. Stephan Block, der verantwortliche Pastor der Stadtkirchengemeinde, zitiert mit dem Vorwurf an den Kläger Michael Düllmann, er habe mit seiner Klage die Haltung der Gemeinde noch verfestigt. Wie bitte? Düllmann ist für das Festhalten der Kirchengemeinde an der antijüdischen Schmähung mitverantwortlich?! Die Vorstellung, dass die Juden selbst dafür verantwortlich sind, wenn sie geschmäht und drangsaliert werden, gehört zum Repertoire des klassischen Antisemitismus. Dann ist auch die Gleichsetzung von Opfern und Tätern nicht mehr weit: „Dabei leiden wir genauso unter der Plastik wie der Kläger“, so Pastor Block.

Wer jetzt denkt, dass die Wittenberger Gemeinde ihr Leiden schnell beenden könnte, muss sich noch einmal belehren lassen: Das Relief sei ein schwieriger Teil eines Erbes, der aber nicht verleugnet werden dürfe. „Nach jüdisch-christlichem Verständnis gibt es keine tadellos perfekte Geschichte. Aber es gibt die Kraft der Vergebung und Versöhnung, die selbst aus Bösem Gutes werden lässt.“ Eindrucksvoller lässt sich kaum dokumentieren, wie die Aneinanderreihung kirchlicher Floskeln, dazu noch mit der indirekten Zitierung Bonhoeffers,  zu blankem Zynismus verkommt. „Keine tadellos perfekte Geschichte“ – wohlwollender kann man die jahrtausendalte Judenfeindschaft bis hin zu dem auch von den lutherischen Kirchen unterstützten antisemitischen Vernichtungswahn des Großdeutschen Reiches nicht zusammenfassen. Und dann noch Versöhnung? Welche Arroganz, von denen, deren Anliegen man vehement ablehnt und denen man einen dauerhaften „Stachel im Fleisch“ zufügt, noch Versöhnung zu erwarten. Und wie kann aus dem eindeutig Bösartigen, und nichts anderes ist die Schmähskulptur, noch Gutes werden?

Antijüdische  „Theologie nach Auschwitz“ ?

Bei der Wittenberger Gemeinde und ihren Unterstützern ist man der Überzeugung, mit einer 1988 installierten Bodenplatte unterhalb des Schmähreliefs hinreichend Gutes getan zu haben. Mit dieser zum „Mahnmal“ hochstilisierten Gedenkplatte habe man sich ausreichend von der Judenverhöhnung und ihren mörderischen Folgen distanziert, eine Auffassung, die bislang auch von den Gerichten übernommen wurde. Doch ein genauerer Blick ergibt einen gegenteiligen Sachverhalt. Denn die Botschaft dieses Kunstwerkes ist theologisch und historisch frivol, wenn da eingraviert ist: „Gottes eigentlicher Name …. starb in sechs Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen.“ In der Shoah wurden sechs Millionen jüdischer Menschen ermordet. Ob dadurch auch Gottes Name starb, ist eine ernste Frage vor allem für die Gemeinschaft derer, zu denen die Ermordeten gehörten. Wenn der Tod Gottes aber von der lutherischen Gemeinde in Wittenberg proklamiert wird, dürfte sie nie wieder Gottes Namen nennen. Sie tut es aber, und sie geht noch einen Schritt weiter, der direkt ins Antisemitische führt. Die Bodenplatte zitiert in hebräischer Schrift, also direkt an die jüdischen Betrachter gerichtet, den Anfang des Psalms 130, der in seiner Anrufung G“ttes die Sünden des Beters bekennt. Auschwitz soll verstanden werden als Folge der Sünden des jüdischen Volkes. Insgesamt erweist sich das sog. Mahnmal als Konzentrat der antijüdischen Theologie Martin Luthers und stellt eine moderne Version der Kirchensau dar, in erschreckender Weise die antisemitische Version einer „Theologie nach Auschwitz“. So ist es nicht erstaunlich, dass das sog. Mahnmal ganz auf eine Aufklärung über Martin Luthers antijüdische Tiraden und Gewaltaufforderungen verzichtet.[3]

Erschreckend ist, dass diese, die 6 Millionen in der Shoah ermordeten jüdischen Opfer noch in ihrem Tod demütigende Bodenplatte als Beleg für die Bußfertigkeit der Kirche angeführt wird. (Auch der Autor selbst hat lange die fatalen Botschaften des „Mahnmals“ nicht beachtet.)

Weil die Zeitzeugen sterben, muss die Kirchensau bleiben

Einen argumentativen Fehlgriff eigener Art hat sich Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragten der EKD, erlaubt. An der Seite der Gemeinde plädiert er für eine Beibehaltung des Reliefs, denn „es brauche öffentliche, authentische Orte, die Zeugnis vom Antisemitismus ablegen, besonders mit Hinblick darauf, dass immer mehr Zeitzeuginnen und -zeugen des Holocaust in nächster Zukunft sterben werden.“ [4] Wie kommt ein gebildeter Kirchen-Repräsentant, der stets um Originalität bemüht ist[5], auf eine solche Gedanken-Volte? Das Zeugnis der letzten KZ-Überlebenden fortsetzen zu lassen durch eine antijüdische Beleidigung – das ist nicht originell, das passt ganz in die politische Vorstellungswelt aller Antisemiten hierzulande. Die haben sich schon in Gestalt der AFD bei der letzten Gerichtsverhandlung in Naumburg sichtbar mit der Kirchengemeindesolidarisiert ebenso wie der in diesen Kreisen einflussreiche und vorbestrafte  Antisemit Nicolai Nerling mit seinem „Volkslehrer“-Blog[6].  Auch wenn der Gemeinde diese Unterstützung vermutlich peinlich ist, zeigt sie doch ideologische Überschneidungen. Sie wären leicht zu beseitigen durch die Entfernung der Kirchensau aus ihrer herausgehobenen Position. Angesichts der harten Haltung der Stadtkirche ist damit aber wohl nicht zu rechnen. Mehr Wirkung dürfte wohl erst die nächste Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof erzielen.

Verhüllen statt abhängen?

Wohl um die damit verbundene öffentliche Beachtung zu verhindern, gibt es einen Vorschlag, der den Rechtsstreit überflüssig machen soll.  Als neuer „Antisemitismusbeauftragter der EKD“ (eine erschreckend unbedachte Titulierung, hat´s denn keiner gemerkt?) bekennt Christian Staffa[7] , dass er als ehemaliger „Verbleib-Votierer“ jetzt eher ein Abhängen befürwortet. So erfreulich diese Neuorientierung ist, so problematisch sind seine Begründung und sein Kompromissvorschlag zur Beilegung des Streits. „Aus jüdischer Perspektive kann das Schandmal … bleibend als Beleidigung und Schmähung empfunden werden“ wird Staffa zitiert. Kann empfunden werden…  Was verständnisvoll klingt, ist doch eher herablassend und leider ganz kirchlich paternalistisch. Und dann plädiert er: „Ich befürworte einen »experimentellen Zugang« – das schmähende Relief könnte zunächst zeitweilig verhüllt und das ihm zugeordnete Mahnmal am Fuß der Stadtkirche nachts angestrahlt werden.“ Die von Staffa vorgeschlagene Verhüllung versucht geschickt-diplomatisch der Gemeinde den Schritt der Umkehr zu ersparen. Sie würde allerdings, sicher gegen Staffa´s Intention, dokumentieren, dass der Judenhass immer noch fester Bestandteil der Kirche (in jedem Sinne) ist, nur eben über kurze oder längere Zeit verhüllt wird.

Es bleibt nur eine Lösung

Nein, es sollte keine neue missverständliche Lösung geben, wie sie schon das Bodenrelief darstellt. Es gibt nur einen glaubwürdigen Weg:

Das Schmährelief muss abgenommen  und direkt neben der Kirche in einem inhaltlich und ästhetisch neu gestalteten Kontext direkt sichtbar gemacht werden. Ein Duplikat,  eine Attrappe wirkt hier nur lächerlich. Es sei an den bislang ignorierten Vorschlag einer Wittenberger Bürgerin erinnert, die Kapelle gleich neben der Stadtkirche als Ort der Dokumentation der antijüdischen Geschichte und als Gedenkort für die Opfer des kirchlich-christlichen Antisemitismus zu nutzen.

An der Entscheidung über die neue Präsentation des Schmähreliefs und seine ästhetische und inhaltliche Kommentierung sollten jüdische Menschen von Anfang an nicht nur beteiligt werden, sondern u.a. in der Jury über eine Mehrheit verfügen.

Bleibt die Frage: Was soll nach Entfernung des Schmähreliefs an dessen Stelle gesetzt werden? Eine Wiederherstellung und Glättung der Wand, als habe es da nichts gegeben, würde die Geschichte nur übertünchen. Vielmehr könnten frau und man mit einigen wuchtigen Hammerschlägen an die Stelle des Reliefs ein Loch in die Kirchenwand schlagen. So entstünde ein sichtbares und irritierendes Zeichen dafür, dass die Kirche nicht unbeschadet und strahlend aus ihrer Schuldgeschichte her-austreten kann. Und sie darf es auch nicht wollen. Der Zivilisationsbruch bleibt, es gibt keine Heilung. Und sie sollte auch nicht vorgetäuscht werden, so sehr sich das Volk und seine Obrigkeit danach sehnen mögen.

[1] U.a. in einem Kommentar hier: https://www.evangelisch.de/inhalte/146589/27-10-2017/pro-und-kontra-soll-die-wittenberger-judensau-bleiben-oder-nicht#comments-list

[2] https://zeitzeichen.net/node/8006  (abgefragt 30.1.2020)

[3] Ein kurzer Hinweis darauf findet sich nur neben der Bodenplatte auf einer  Infotafel, die eine eigene Analyse wert wäre.

[4] https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/vis_a_vis/202002/03/claussen-antisemitismus-relief-kirche-wittenberg.html

[5] Das ist nicht die erste Volte. Vor zwei Jahren befürwortete das Büro des Kulturbeauftragten in der Ethik-Kommission des Echo-Preises di Auszeichnung des antisemitischen Rappers Kollegah bei gleichzeitiger wortreicher Ablehnung von dessen Musik.

[6] https://www.bitchute.com/video/em4woUdLZoUs/ (abgefragt 10.3.2020)

[7] https://www.juedische-allgemeine.de/politik/judenhass-ist-unglaube-2/

 

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