Der 7. Oktober – Reaktionen des Lutherischen Weltbundes *)

Der 7. Oktober – Reaktionen des Lutherischen Weltbundes *)

Der 7. Oktober 2023 war, so der israelische Historiker Tom Segev, der schlimmste Tag des Landes seit 1948. Nach sorgfältiger Vorbereitung verübte die Hamas mit dem Pogrom im südlichen Israel den tödlichsten Angriff auf Juden seit dem Holocaust. Getötet wurden nicht nur israelische Soldatinnen und Soldaten, ermordet wurden auch Überlebende des Holocaust, ermordet wurden Menschen, die sich um gute Kontakte zu den palästinensischen Bewohnerinnen in Gaza bemühten, ermordet wurden Babys und Kinder, gefoltert, vergewaltigt und ermordet wurden vor allem Frauen, unter anderem auf dem Musikfestival „Supernova Sukkot Gathering“. Das Massaker entsprach dem programmatischen Ziel der Hamas, die Juden und ihren Staat Israel auszulöschen. Dagegen hat die Hamas keinerlei Interesse an einer Verbesserung der Lebenssituationen der palästinensischen Bevölkerung in Gaza und in den besetzten Gebieten. Mit den für die Versorgung der Bevölkerung bestimmten Milliardensummen aus aller Welt, auch aus der EU und Deutschland, hat die Hamas neben der Anhäufung von Reichtum bei ihrer Führung vor allem Waffen- und Munitionsfabriken aufgebaut. Bei dem Angriff am 7. Oktober handelte es sich nicht einfach um eine weitere Eskalation des „Konfliktes“ mit und gegen Israel, sondern erstmalig um eine Aktion, mit der die Hamas in einer Phase vorsichtiger und fragile Annäherung zwischen Israel und arabischen Staaten eben diese mit größtmöglicher Brutalität zu zerstören versuchte – und versucht. Nicht ganz nebenbei war der Angriff der Hamas auch ein Propaganda-Signal für die Antisemiten in aller Welt, die auch umgehend mit Kundgebungen und Freudenfeiern von Deutschland bis nach Indonesien reagierten. „Es ist, als hätten Antisemiten weltweit nur auf die Anschläge gewartet“, so die Auschwitz-Überlebende Eva Umlauf.

Israel reagierte auf die Massaker der Hamas mit einem massiven militärischen Einsatz. Ziel war und ist die vollständige Entmachtung der Hamas, um weitere Massaker möglichst auszuschließen. Diesem gegen die Hamas gerichteten Militäreinsatz sind in den letzten Monaten auch viele tausend zivile Palästinenserinnen zum Opfer gefallen. Die Menschen in Gaza leiden unter Hunger, Verletzungen, Traumatisierungen und Hoffnungslosigkeit. Weltweit führen die Bilder und Berichte dazu, dass der Hamas-Angriff als Ursache dieses Krieges zunehmend aus dem Blick gerät. Und nur selten wird auf die einfache Tatsache hingewiesen, dass eine Kapitulation der Hamas und die Freilassung der Geiseln die israelischen Militärangriffe und damit das Leid der Bevölkerung schnell beenden könnten.

In Israel selbst ist die Massivität des Militäreinsatzes durch die Netanjahu-Regierung heftig umstritten. Demonstrationen und freie Debatten im ganzen Land sind ein Zeichen der Stärke der Demokratie in Israel. Unter der Herrschaft der PLO im Westjordanland und der Hamas im Gazastreifen gibt es für die Palästinenserinnen und Palästinenser keine demokratischen Rechte.

Bethlehem – Jesus wird zum Palästinenser

Bethlehem gehört mit seiner Weihnachtskirche zum Besuchsprogramm von vielen tausend (vor allem christlichen) Touristinnen und Touristen. Auch wenn 2023 wegen des Krieges die Besucherströme ausblieben, wurde wieder wie sonst auch an Weihnachten eine Krippe aufgebaut, die sich auf sehr besondere Weise auf die Situation in Gaza und Israel bezog. Sie bestand aus einem grauen Trümmerhaufen. Fast verschüttet von Steinbrocken liegt Jesus eingebettet in einer Kufiya, einem traditionellen, palästinensischen Tuch mit schwarz-weißem Karomuster, einem Symbol palästinensischer Identität. „Wenn Jesus heute geboren würde, dann unter den Trümmern in Gaza“, ist Munther Isaac überzeugt, der als Pastor der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land seit 2017 der kleinen Gemeinde in Bethlehem vorsteht. „Gott ist solidarisch mit den Unterdrückten, den Ausgegrenzten. Bei der Weihnachtsgeschichte handelt es sich um die Geschichte eines Babys, das unter den schwierigsten Umständen der Besatzung geboren wurde und das Massaker an Kindern bei seiner Geburt selbst überlebte.“ [1]

Das jüdische Kind Jesus, das sich nicht wehren kann, wird von dem lutherischen Pastor zu einem palästinensischen Kind gemacht, wird seiner jüdischen Identität beraubt. Das jüdische Volk, das vor 2000 Jahren unter der römischen Herrschaft leben musste, wird ersetzt durch das palästinensische Volk, das heute unter der israelischen Herrschaft leben muss. Juden kommen im Welt- und Feindbild von Munther Isaac nicht vor außer als Besatzungsmacht, die sich eines Völkermordes schuldig macht. In seiner Weihnachtspredigt 2023 kann er seinen antijüdischen Furor kaum noch bremsen: „Vor dem 7. Oktober war Gaza die Hölle, und die Welt hat geschwiegen. Sollten wir überrascht sein, dass sie jetzt schweigt? Wenn Sie nicht entsetzt sind über das, was in Gaza geschieht, wenn Sie nicht bis ins Mark erschüttert sind, dann stimmt etwas mit Ihrer Menschlichkeit nicht, und wenn wir als Christen nicht empört sind über den Völkermord, über die Bewaffnung der Bibel, um ihn zu rechtfertigen, dann stimmt etwas mit unserem christlichen Zeugnis nicht … Wir werden von dem Schweigen der Welt gequält. Die Führer der sogenannten Freien Welt reihten sich aneinander, um grünes Licht für diesen Völkermord an einer gefangenen Bevölkerung zu geben.“[2]

Es ist kaum noch zu verstehen, wie ein christlicher Theologe, der die Bibel und die gegenwärtige Realität kennt, eiskalt verschweigen kann, dass am 7. Oktober tatsächlich Kinder ermordet wurden; es waren jüdische Kinder wie Jesus. Dass danach viele Kinder in Gaza durch die israelischen Angriffe getötet wurden, ist furchtbar, rechtfertigt aber keinesfalls die auf die Auslöschung allen jüdischen Lebens, also auf Völkermord zielende Politik der Hamas.

Pastor Munther Isaac ist nicht irgendwer. Er ist das derzeit bekannteste Gesicht der lutherischen Christen im Nahen Osten und weit darüber hinaus.  Er ist Vorstandsmitglied der „Kairos Palestine“-Initiative, die mit ihrer Unterstützung der BDS-Kampagne und ihren antijüdischen Assoziationen große Aufmerksamkeit erregte.[3] Die „Evangelisch-lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land“, zu der Munther Isaac gehört, ist eine von zwei offiziellen Partnern der Nordkirche in Israel/Palästina. Der Bethlehemer Pastor scheint auch im Lutherischen Weltbund hohe Anerkennung zu genießen, wie seine Berufung in eine Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Vollversammlung im September 2023 in Krakau zeigte.

Der Lutherische Weltbund – keine Sensibilität für das jüdische Israel

Die unmittelbare Nähe Krakaus zur Gedenkstätte des ehemaligen KZ Auschwitz-Birkenau legte nahe, auf der Vollversammlung im September (also wenige Wochen vor dem 7. Oktober) die antijüdische und antisemitische Geschichte des Luthertums zum Thema zu machen und die Bedeutung des Staates Israel als Zufluchtsort für die jüdischen Flüchtlinge und Überlebenden des Holocaust zu vergegenwärtigen. Zu diesem Zweck hatte das deutsche Nationalkomitee des LWB eine Handreichung verfasst, die sich eindeutig von der antijüdischen Geschichte der Kirche distanzierte und zu einem positiven Verhältnis zum Staat Israel bekannte. Als eine wichtige Herausforderung wird formuliert: „Für die Vollversammlung in Krakau ist ein Geist wünschenswert, der sensibel macht für das Schmerzvolle und die gefährlichen Vereinfachungen in Geschichte und Gegenwart.  Auf Basis einer christlich-jüdischen Beziehung, die ihre Wurzel im gemeinsamen Glauben an den Einen Gott hat und die sich der schmerzvollen Geschichte bewusst ist, werden Christinnen und Christen sich nachdrücklich jeglicher polemischen Verkürzung im internationalen wie auch inner- und interkirchlichen Diskurs widersetzen und die gefährlichen Vereinfachungen in Geschichte und Gegenwart zu vermeiden suchen.

Wenn die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes an einem geschichtlich besonders beladenen Ort wie Krakau die “Lutherische Weltfamilie” insgesamt in diesem Sinne zu sensibilisieren vermag, ist das ein wichtiger Schritt auf dem Weg.“ [4]

Es ist den deutschen LutheranerInnen dann aber nicht gelungen, ihre „Weltfamilie“ von der gefährlichen Vereinfachung einer einseitigen Verurteilung Israels abzuhalten. Auch der emotional bewegende Besuch der LWB-Delegierten im ehemaligen KZ Auschwitz und die Rede des KZ-Überlebenden Marian Turski  auf der Vollversammlung konnte die Delegierten nicht dazu bewegen, auch nur ein wenig Verständnis für die Bedeutung Israels und seine Bedrohtheit durch Terrororganisationen wie die Hamas, die Hisbollah und das iranische Regime aufzubringen.[5] Stattdessen bekräftigt die Vollversammlung ihre Solidarität mit ihrer Mitgliedskirche in „Jordanien und im Heiligen Land“, also auch zu Pastor Munther Isaac. Ganz in dessen Sinne heißt es in dem Aufruf der Vollversammlung: „Der LWB ist sich bewusst, dass es Kirchen gibt, die durch koloniale Theologien der Überlegenheit und Macht mitschuldig sind an der Ungerechtigkeit, unter der die PalästinenserInnen und palästinensischen ChristInnen leiden.“ Außerdem sei der „Staat Israel für seine Verstöße gegen die Menschenrechte und das Völkerrecht zur Rechenschaft zu ziehen.“[6] Und so weiter… Der LWB übernimmt die ganze Palette der üblichen Schuldzuweisungen und Forderungen an Israel. Gleichzeitig gibt es nicht einen Hauch von Kritik an der Politik der PLO, der Hamas und all der Gruppen und Staaten, die Krieg und Terror gegen Israel geführt haben und weiterhin führen wollen mit dem Ziel der Auslöschung Israels. Kein Problem für das weltweite Luthertum?

Auch die zentrale „Botschaft der 13. Vollversammlung des LWB“[7]  enthält nur ganz wenige Zeilen zum Judentum und zum Antisemitismus, die an eine alte Erklärung von 1984 erinnern, als ob es in den 40 Jahren danach nicht wesentliches zu dem Thema mehr zu sagen gäbe. Israel kommt in dieser Botschaft nicht vor. Dafür hatte man ja -siehe oben- eine eigene Resolution verabschiedet. Auf der Website des LWB findet sich allerdings der Einschub eines Gebetes, das sich offenkundig auf den Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau bezieht:

„Wir gingen durch die Lager von Auschwitz-Birkenau.
Sie wurden transportiert wie Vieh und in den Tod geschickt.
Wir gingen dorthin, um der Wahrheit ins Auge zu sehen.
Sie wurden belogen, erniedrigt und ermordet.
Wir beweinten sie.

Auf unserem Gang durch Auschwitz-Birkenau.
Wir gedachten auch anderer Orte unsäglichen Übels.
Wir besinnen uns darauf, dass es nur eine Menschheit gibt.
Dass alle Menschen dieselbe gottgegebene Würde haben.
Wir geloben, niemals wieder gleichgültig zu sein.“
Wir geloben, Widerstand zu leisten gegen Hetze, Lügen und Gräueltaten.
Wir beten: Nie wieder.

So eindrücklich dieser poetisch-liturgische Text formuliert ist, vermeidet er doch, das Wesentliche dieses Ortes zu benennen. Es waren nicht zufällig ausgewählte Menschen („sie“), es waren Juden aus ganz Europa, die dort ermordet wurden. Der Zivilisationsbruch und die Einmaligkeit des Holocaust, der eine seiner Wurzeln auch im Luthertum hat, werden relativiert, wenn dann beim Gang durch Auschwitz „auch anderer Orte unsäglichen Übels“ gedacht wird.

Was hat es zu bedeuten, dass die deutschen Delegierten mit ihrem Bemühen um eine Juden- und Israel-freundliche Positionierung des Lutherischen Weltbundes weitgehend gescheitert sind? Es überrascht jedenfalls nicht, dass der LWB nach dem 7. Oktober den Terrorangriff der Hamas zwar verurteilte, aber nicht bereit oder imstande war, in diesem Angriff den Grund und die Ursache für die darauffolgenden Militäraktionen Israels in Gaza zu erkennen. Die naheliegende Forderung nach einer Kapitulation der Hamas, die sofort das Leiden der Menschen in Gaza beenden könnte, wird nicht erhoben. Stattdessen werden die Hamas und Israel gleichermaßen verantwortlich gemacht für die Eskalation und die „neue Welle der Gewalt im Nahen Osten“. Auffällig ist auch das Schweigen des LWB zu der von Pastor Munther Isaac in Bethlehem vollzogenen palästinensischen Kostümierung des Jesuskindes, die der Verdrängung des Kindermordes der Hamas Vorschub leistet. Nein, man sollte die lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land nicht wegen dieser Häresie aus dem LWB ausschließen. Aber zu erwarten wäre doch eine eindeutige Distanzierung und die damit verbundene öffentliche Kontroverse. Auch hierzulande gibt es Menschen, die sehr angetan waren von der Weihnachtskrippe in Bethlehem und Ähnliches für die Kirchen in Hamburg wünschten.

[1] https://www.evangelisch.de/inhalte/224694/20-12-2023

[2] https://gewerkschaftslinke.hamburg/2024/01/01/weihnachtspredigt-von-pfarrer-munther-isaac-in-bethlehem-in-gaza-liegt-gott-heute-unter-den-truemmern/   Textmitschrift aus https://www.youtube.com/watch?v=Md_hw_A-oIs

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Kairos-Pal%C3%A4stina-Dokument

[4] file:///F:/Downloads/dnk_lwb_handreichung_zum_christlich-juedischen_verhaeltnis-2023-03.pdf

[5] https://konfessionskundliches-institut.de/allgemein/lwb-vollversammlung-in-krakau-ein-kritischer-rueckblick/

[6] https://2023.lwfassembly.org/public-statement-christian-presence-and-life-holy-land. Die ganze Erklärung dokumentiert die jahrzehntelange Einseitigkeit des Blicks auf die Situation in und um Israel. Im Fokus stehen ausschließlich die von der israelischen Besatzung betroffenen palästinensischen Menschen. Die hunderttausende PalästinenserIinnen, die in Jordanien oder im Libanon unter zum Teil unwürdigen Verhältnissen leben, interessiert den LWB wie auch sonst die „Israel- Kritiker“ nicht.

[7] https://2023.lwfassembly.org/de/botschaft-der-dreizehnten-lwb-vollversammlung

 

*) Dieser Beitrag erschien in der Aprilausgabe 2024 der Ev. Stimmen.

 

Bildquellen

  • Ev. Stimmen: Foto Cover Ev. Stimmen

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