Jesus war Pazifist –  wer daran erinnert, wird als „Lumpen-Pazifist“ verteufelt

Jesus war Pazifist – wer daran erinnert, wird als „Lumpen-Pazifist“ verteufelt

Der SPIEGEL auf der Höhe der Zeit: Unter der Schlagzeile „der deutsche Lumpen-Pazifismus“ darf sein Kolumnist Sascha Lobo (ja, der mit der Irokesen-Frisur) seinem Hass gegen den „substantiellen Teil der Friedensbewegung“, der sich noch am Impetus einer pazifistischen Grundhaltung orientiert, freien Lauf lassen.[1] Zuerst trifft es Mahatma Gandhi: „Gandhi ist nicht nur bis heute ein Vorbild für viele Pazifisten, sondern war auch eine sagenhafte Knalltüte.“ Dann aber schießt er sich auf den Friedensbeauftragten der evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Friedrich Kramer ein, einen typischen „Lumpen-Pazifisten“. Diese seien „zuvorderst selbstgerecht. Es sind Menschen, die sich eine Jacke anziehen und sofort vergessen, was es heißt zu frieren. Menschen, die ihren Stuhlkreis-Prinzipien auch um den Preis des Lebens Dritter folgen. Menschen, die im Angesicht des russischen Angriffshorrors in der Ukraine nichts tun wollen, genau: nichts. Es scheint mir kaum möglich, die eigene Ungerührtheit im Angesicht tot gebombter Kinder noch maliziöser zu feiern.“

Mehr Hass geht kaum. Lobo darf im SPIEGEL auf einen schießen, der schon in der DDR wegen seiner christlich-pazifistischen Haltung und wegen seiner „Stuhlkreis-Prinzipien“ als Bausoldat dienen musste. Bischof Kramer hatte in seiner Predigt[2] vor dem obersten deutschen Kirchenparlament an die berühmten Seligpreisungen Jesu in der Bergpredigt erinnert: „Selig sind die Pazifisten, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“[3] Es kann nützlich sein zu wissen, dass diese klare Ansage Jesu schon zu seinen Lebzeiten umstritten war. Denn er, bzw. seine NachfolgerInnen konkurrierten mit anderen jüdischen Gruppierungen, u.a. den Zeloten, die den bewaffneten Widerstand gegen die römischen Besatzer und Weltherrscher propagierten und betrieben. Ihr berechtigter Aufstand endete allerdings mit einer furchtbaren Niederlage und der Zerstörung des Tempels in Jerusalem 70.n.Chr. 200 Jahre lang blieben die dann christlichen Gemeinden bei der klaren Regel, dass ein Christenmensch keine Waffe in die Hand nehmen dürfe. Das änderte sich erst mit der Übernahme des Christentums als römischer Staatsreligion. Die Parallelen zur Neuzeit sind augenfällig. Ob in Russland, der Ukraine, den USA und auch zunehmend in Deutschland – die christlichen Kirchen jeglicher Couleur waren und sind von Ausnahmen abgesehen wichtige und willfährige Kombattanten bei Aufrüstung und wenn es sein muss auch bei Kriegseinsätzen.

Nun gibt es schon seit längerem hierzulande die Klage von Parteien, Rüstungsindustrie und sogenannten Sicherheitsexperten, dass die deutsche Bevölkerung noch zu pazifistisch und Kriegs-unwillig eingestellt sei. Putins Krieg gegen die Ukraine ist daher ein zwar beklagter, aber doch willkommener Anlass, aus einem kriegsmüden wieder ein kriegsbreites Volk zu machen. Darum müssen Menschen und Gruppen mit pazifistischen Überzeugungen und Konzepten diffamiert und marginalisiert werden. Die Tiraden von Sascha Lobo gegen die „Lumpen-Pazifisten“ sind dafür nützlich, aber für ein bestimmtes Publikum auch abschreckend.     

Raffinierter und darum erfolgversprechender erscheint dagegen die Pazifismus-Schelte, die der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck bei Lanz unters Volk brachte: „Und zwar glaube ich, dass der pazifistische Ansatz, so ehrenvoll er im persönlichen Leben ist, generell – theologische gesprochen – in der gefallenen Welt ein Ansatz ist, der nicht zum Guten führt…. sondern der die Dominanz der Bösen, der Verbrecher und der Unmenschlichen zementieren würde“. Zudem verrate der generelle Verzicht auf Gewalt „die Wertebasis unseres Lebensstils.“ [4] Anders formuliert: Der Erhalt der Wertebasis unseres (?) Lebensstils kann auf Gewalt nicht verzichten. Darum sind pazifistische Strategien für Gauck nichts anderes als eine Unterstützung der Dominanz „der Unmenschlichen“. Ins Juristische übersetzt, müssten Pazifisten also wegen ideeller Unterstützung von Verbrechern und Unmenschlichen angeklagt werden. Ein abstruser Gedanke? Man wird sehen. Derzeit stehen allerdings noch die Bemühungen von Lobo, Gauck und vielen anderen um eine moralische und politische Diskreditierung des Pazifismus im Vordergrund.

Weniger offensichtlich und weniger bewusst und ohne jeden aggressiven Unterton, sondern eher friedlich und rührselig ist eine andere Variante, sich der pazifistischen Position und Provokation zu entziehen. Ob in Kirchen, Kaufhäusern oder Fernsehshows, allenthalben wird in der Weihnachtszeit das Kind in der Krippe, „Holder Knabe in lockigem Haar“, besungen und gefeiert. Dabei ist diese berühmte Geburts-Legende aus dem Lukasevangelium nur zu verstehen als programmatisches Vorspiel für das Leben des Rabbi Jesus, der sein „Königreich“ nicht gegen, sondern mit den Armen und Diskriminierten aufbauen wollte. Die Seligpreisung der gewaltlosen Friedensmacher, also der Pazifisten war ein Kern seiner Botschaft und seiner Praxis. Es wäre grundfalsch, diese Botschaft für die persönliche Marotte eines skurrilen Einzelgängers zu halten. Vielmehr ist sie ein Konzentrat der Thora, also der heiligen Schriften des Judentums, mit denen Jesus großgeworden ist.[5] Doch von diesem radikalen Pazifisten will man sich Weihnachten nicht stören lassen. Nichts gegen Kinderfeste. Doch wäre es nicht endlich an der Zeit, ob mit oder ohne Jesus zu reifen und erwachsen zu werden? Sich mit dem Pazifismus als einer notwendigen Perspektive für eine Welt ohne Kriege auseinanderzusetzen und sich dafür einzusetzen, geht gewiss nicht ohne Diffamierungen, Ausgrenzungen und eigene Irrtümer ab. Aber wer sagt schon, dass die Vermeidung von Kriegen einfach zu haben ist?

  1. Einige Überlegungen von Theo Christiansen aus dem Jahr 2015 zur Bedeutung des Pazifismus sind immer noch aktuell und finden sich hier .

[1] https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/ukraine-krieg-der-deutsche-lumpen-pazifismus-kolumne-a-77ea2788-e80f-4a51-838f-591843da8356#:~:text=Es%20handelt%20sich%20dabei%20um%20eine%20zutiefst%20egozentrische,vorgeworfen%20wird.%20Naivit%C3%A4t%20ist%20unangenehm%2C%20aber%20keine%20Schande.

Manche seiner Kritikpunkte vor allem an Gandhis vorwurfsvoller Haltung gegenüber den deutschen Juden sind durchaus nachvollziehbar, funktionieren aber im Kontext von Lobos Beitrag nur als billiger Vorwand gegen die Friedensbewegung, die sich übrigens nur selten auf Gandhi berief.

[2] https://www.evangelisch.de/inhalte/207793/06-11-2022/gottesdienst-der-ekd-synode-die-predigt-von-friedrich-kramer

 Ausführlich und konkret hat Kramer seine Haltung in einem Interview im Mai 2022 dargelegt: https://zeitzeichen.net/node/9819

 

[3] Schon allein diese Übersetzung aus dem Neuen Testament war Kramer in einem liberalen Kirchenblatt als Verfälschung vorgehalten worden. Mit Luther müsse es heißen „Selig sind die Friedensstifter“. Das aber steht in keiner der alten Übersetzungen. In einer der ältesten, der Vulgata, heißt es vielmehr: „„beati pacifici quoniam filii Dei vocabuntur“. – Dieser Hinweis mag kleinlich erscheinen. Er ist aber ein Beispiel dafür, wie man sich bis in sprachliche Kleinigkeiten hinein um eine Diskreditierung des Pazifismus bemüht.

 

[4] https://www.pro-medienmagazin.de/gauck-wuerde-notfalls-zur-waffe-greifen

[5] Maria, seine Mutter, hat einen entscheidenden Anteil daran. Schon vor der Geburt ihres Kindes hat sie sich nicht in huldvolles Schweigen gehüllt, sondern ein klares Gottes-Bekenntnis gesprochen: „Er (G“tt) vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind.
Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“
Lukas 1,46ff

Bildquellen

  • Jesus zerbricht Gewehr: Archiv

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