Krieg in Israel und Gaza, Antisemitismus in Deutschland

Krieg in Israel und Gaza, Antisemitismus in Deutschland

1. Hoffnung ?  … braucht jetzt die Entmachtung der Hamas

Es sieht so aus, dass die Hamas mit ihren Massakern in Israel und den Geiselnahmen jüdischer Zivilisten die große, utopisch anmutende Hoffnung und alle Bemühungen um einen Frieden in Nahost für lange Zeit zerstört hat. Auch wenn es so ist, dass die verschiedenen Regierungen unter Benjamin Netanjahu sich trotz des Protestes vieler Israelis nicht leiten ließen von der Hoffnung auf friedliche Koexistenz mit Palästina, sondern wahl- und machttaktischen Kalkülen folgten unter anderem mit der ständigen Ausweitung jüdischer Siedlungen im Westjordanland, kann das keine Rechtfertigung, nicht einmal eine Erklärung für das gezielt blindwütige Morden am 7.Oktober und den folgenden Tagen sein. Bei dem präzise vorbereiteten Pogrom, dem größten Massenmord an Juden nach Ende des Zweiten Weltkrieges, wurden mindestens 1400 Israelis getötet und mehr als 200 Israelis in den Gazastreifen entführt. Die Hamas selbst lässt keinen Zweifel daran, dass die Auslöschung jüdischen Lebens in Israel ihr Ziel ist. Dafür opfert sie auch die von ihr beherrschte Bevölkerung in Gaza.

Die Erinnerung an den Massenmord der Deutschen an 33.000 Juden innerhalb von zwei Tagen im ukrainischen Babyn Jar ist schrecklich zutreffend. Die vollständige Vernichtung  des europäischen Judentums konnte 1945 nur verhindert werden durch die von den Alliierten auch mit massiven und schrecklichen Bombardierungen erkämpfte Niederlage des Deutschen Reiches.

Sollte die Hoffnung auf Frieden für Israel und Palästina eine Zukunft haben, ist eine Voraussetzung dafür die vollständige Entmachtung der Hamas in Gaza. Dafür kämpft Israel jetzt. Gibt es eine Alternative? Dieser Kampf fordert viele Opfer, unter den eigenen Soldaten und unter den Einwohnern des Gaza-Streifens. Ronen Steinke formuliert in der SZ das schreckliche Dilemma, ohne selbst eine Antwort zu finden: „Israel hat alles Recht der Welt, sich zu verteidigen. Eine unterschiedslose Belagerung des Gazastreifens aber verbietet das humanitäre Völkerrecht. Wie also kämpfen gegen die Hamas, die sich an keine Regeln hält?“ [1] Doch eines ist klar: Je schneller die Hamas entmachtet wird, desto eher wird auch das Leid der Bevölkerung in Gaza beendet werden können.

Das Ende des Krieges wird noch keinen Frieden bringen. Aber was kann dann geschehen?  Es war zu hören oder zu lesen, dass nach der Niederlage der Hamas unter Aufsicht der UNO und von UNO-Friedenstruppen provisorische Regierungs-Instanzen geschaffen werden könnten mit der Aufgabe des Wiederaufbaus und der Vorbereitung freier Wahlen ohne Beteiligung alter oder neuer islamistischer Formationen.  Da werden viele große und kleine Staaten vermutlich jetzt schon ihre Konzepte entwickeln…

 

2. Antisemitische Ressentiments und Feindseligkeit haben einen stabilen Raum in unserer Gesellschaft

Freudenfeiern über die Massaker der Hamas wären vor kurzem auf Deutschlands Straßen noch unvorstellbar gewesen. Verbale und zerstörerische Attacken auf jüdische Menschen und ihre Einrichtungen haben massiv zugenommen und werden unter dem Vorwand der Solidarität mit Palästina weiter zunehmen. Dagegen versuchen Polizei und Gerichte vorzugehen. Was Polizei, Gerichte und gültige Gesetze nicht verhindern können, ist der massive Ausbruch antisemitischer Ressentiments und Israelfeindlicher Obsessionen auch im bürgerlich-liberalen Milieu von rechts bis links. Bei den folgenden Beispielen ist ein wiederkehrendes Muster zu beobachten: Zuerst wird kurz der Terrorangriff der Hamas verurteilt, dann aber wird er gerechtfertigt und als nachvollziehbar erklärt. Gibt es dagegen Proteste, wird ein Bedauern formuliert. Das aber bezieht sich nicht auf den Inhalt, sondern auf die Wirkung der antisemitischen Aussagen. Anders gesagt: im Grunde waren diese Aussagen richtig, sie sind nur leider nicht unwidersprochen geblieben.  

  • Richard David Precht und Markus Lanz verbreiten vulgären Antisemitismus

Wenige Tage nach dem Pogrom der Hamas präsentierte Richard David Precht am 13.Oktober in seinem Podcast klassische antisemitische Propaganda. Orthodoxen Juden sei es untersagt, zu arbeiten: “Außer ein paar Dingen wie Diamantenhandel und Finanzgeschäfte.” Und Markus Lanz stimmte ihm zu: “richtig, genau”. Die Verantwortlichen des ZDF fanden das unproblematisch. Nach anfänglichem Schweigen musste der Sender dann doch reagieren. Er tat es so: “Wir bedauern, dass eine Passage in der aktuellen Ausgabe von ‘Lanz & Precht’ Kritik ausgelöst hat. An einer Stelle wurden komplexe Zusammenhänge verkürzt dargestellt, was missverständlich interpretiert werden konnte. Deshalb haben wir diesen Satz entfernt.” Der Sender bedauert nicht den Inhalt der antisemitischen Gesetze, sondern die Tatsache, dass diese Sätze Kritik ausgelöst haben. Aus dem Tatbestand antisemitische Propaganda macht er „komplexe Zusammenhänge“, ohne diese freilich zu erläutern. Es findet sich kein Wort der Distanzierung, keine Einordnung, keine Klarstellung. Dass orthodoxe Juden nicht arbeiten dürften, ist einfach falsch (die Siedler im besetzten Westjordanland sind zum größten Teil orthodox.) und die Feststellung des beliebten ZDF-Hausphilosophen, dass es Ausnahmen nur gebe für „Diamantenhandel und Finanzgeschäfte“, übernimmt eine bei deutschen Nazis ebenso wie bei islamistischen Israel-Feinden verbreitete Verschwörungs-Lüge. Ähnlich wie sein Sender äußert sich Precht selbst und erklärt für seinen Kompagnon Lanz gleich mit ihr gemeinsames Bedauern, dass ihre Formulierung „Anstoß erregt hat und zu Kritik geführt hat …Zumal es (!) nicht ansatzweise (!) irgendwie (!) so gemeint gewesen ist, wie es aufgefasst wurde.“ Wie ist ES denn gemeint gewesen? Sie, die Meister des geschliffenen Wortes und der präzisen Formulierung wollen nicht gewusst haben, was sie da sagten?

Precht und Lanz sind entsetzt über den Massenmord der Hamas. Doch gleichzeitig verbreiten sie mit Duldung des ZDF antijüdische Klischees, die Schnittmengen mit der Propaganda der Hamas haben und fantasieren sich als Opfer von Missverständnissen. Gleichwohl lässt das ZDF ihre beiden Stars weitermachen. Sie sprechen einfach hunderttausenden von ZuhörerInnen aus ihren deutschen Herzen.[2]

Nebenbei: Markus Lanz produziert seine Sendung in Hamburg. Deren Bürgermeister Peter Tschentscher proklamierte auf einer Solidaritätskundgebung für Israel: „In Hamburg ist kein Millimeter Platz für Antisemitismus und Feindseligkeit gegenüber Israel“ und bekam dafür viel Beifall.

  • Im NDR wurden die Hamas-Massaker schöngeredet

NDR-Info brachte am 9.10. ein längeres Interview mit dem umtriebigen Nahostexperten Michael Lüders unter der Headline: “Politik der Ausgrenzung funktioniert nicht mehr“. Neben etlichen verfälschenden Aussagen über die Politik Israels gab Lüders folgende Deutung für den Terrorangriff der Hamas auf Israel: Der „Gewaltausbruch ist der Versuch, den Status quo so zu verändern, dass es Verhandlungen für eine Zukunft der Palästinenser geben könnte …“ Aus dem sorgfältig vorbereiteten Massenmord der Hamas wird ein „Gewaltausbruch“. Und der Hamas, deren erklärtes Ziel die Auslöschung Israels war und ist und die darum jegliche Bemühungen um Verhandlungen zu einer Veränderung des Status quo ablehnt, wird ganz im Gegenteil zu dieser Realität eine gute Absicht angedichtet. Im ZDF durfte Michael Lüders das Hamas-Pogrom als „Quittung für eine völlig verfehlte Politik‘“ Israels nachvollziehbar machen. [3]  Ähnlich auch im DLF, im WDR, im SWR, immer ohne Nachfragen oder Widerspruch. Die Juden sind selber schuld, wenn sie massakriert werden. Dass diese klassische Täter-Opfer-Umkehr in Redaktionen und beim Publikum einfach so „durchgeht“, muss besorgt machen. 

  • Ruangrupa freut sich über eine Hamas-Kundgebung in Berlin

Trotz des Skandals um die antijüdischen Kunstmachwerke auf der letzten Documenta war deren Chef Hoffmann in einem NDR-Interview Anfang Januar noch voll des Lobes: das Kurator*innen-Kollektiv Ruangrupa habe „wirklich Großartiges geleistet“ … Die Gruppe aus Indonesien habe „Perspektiven bewiesen, die für den deutschen Kulturbetrieb in vielerlei Hinsicht einfach auch unglaublich innovativ und wegweisend sein können.“ Unglaublich innovativ? Jetzt hatten Reza Afisina und Iswanto Hartono auf Instagram einen Clip geliket, der Hamas-Sympathisanten in Neukölln zeigte, die die Mordattacke feierten.  Als die Documenta-Leitung sich diesmal scharf distanzierte, löschten die beiden Künstler ihre Herzchen für den Hamas-Jubel. Und bieten für ihren „Fehler“ eine Begründung, die Schulkindern angemessen wäre, aber bei zwei Künstlern, zu deren Beruf das genaue Schauen und Verstehen gehört, nur noch unglaubwürdig ist: Sie hätten gedacht, das Video zeige eine Demo aus dem September.[4]

  • Ein FC-Bayern-Star betet für den Sieg der Hamas

Aus dem Bericht eines deutschen Nachrichtenkanals: „Bayern-Verteidiger Noussair Mazraoui hat mit mehreren Posts bei Instagram für Wirbel gesorgt. Der in den Niederlanden geborene Marokkaner teilte am Samstagabend in seiner Instagram-Story ein Video, in dem eine Stimme im Stil eines Gebets sagt: “Gott, hilf unseren unterdrückten Brüdern in Palästina, damit sie den Sieg erringen. Möge Gott den Toten Gnade schenken, möge Gott ihre Verwundeten heilen.” Im Bild ist eine wehende Flagge Palästinas zu sehen. Dazu schrieb Mazraoui in dem Eintrag “Ameen” (Amen, zu Deutsch: So sei es) neben einem Emoji mit gefalteten Händen.“ Nach anfänglichem Schweigen teilte der FC Bayern jetzt mit, dass er mit seinem angestellten Fußballstar intensive Gespräche führen wolle. Keine Suspendierung, keine Freistellung – das Münchener Fußballunternehmen wird sicher Formulierungen finden, um seinen teuren Spieler weiter zu beschäftigen.[5]

  • BDS schweigt zum Pogrom der Hamas

Nicht nur in europäischen Ländern, wie vor allem in Spanien und Großbritannien findet die BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen)[6] eine wachsende Anhängerschaft vor allem in linken, sozialdemokratischen, akademischen und kirchlichen Milieus. BDS agiert mit dem Anspruch, gewaltfrei zu einem Ende der Besetzung des Westjordanlandes beizutragen. Auf internationaler Ebene ist BDS verflochten mit palästinensischen Organisationen, von denen einige offen die Existenz Israels als eigenem Staat infrage stellen. Vom BDS genutzte Karten zeigen ein Palästina, das vom Jordan bis zum Mittelmeer reicht. Viele Analysen zeigen, dass dem sogenannten „Apartheid-Staat“ und „Kolonialmacht“ Israel die Existenzberechtigung abgesprochen werden. Jegliche Kritik an Hamas, PLO, Hisbollah etc. wird vermieden. Es wird sogar behauptet, dass die Hamas von ihrem ursprünglichen Ziel, die Juden und Israel zu vernichten, abgerückt sei. BDS hat weltweit berühmte UnterstützerInnen wie u.a. die Professorin Judith Butler, den fanatischen Israel-Hasser und Musiker Roger Waters, den bekannten palästinensischen Autor Omar Barghouti[7].

Von deutschen BDS-Gruppen und Unterstützern gibt es keine Stellungnahme zu dem Pogrom der Hamas in Israel. Auf deutschen Straßen werden die unmenschlichen Grausamkeiten der Hamas bejubelt – BDS schweigt. In Deutschland werden jüdische Menschen und jüdische Gebäude beleidigt und tätlich angegriffen – BDS schweigt. Schien es bislang noch schwierig, aber sinnvoll, mit BDS-Protagonisten die Kontroverse zu debattieren, so ist jetzt jegliche moralische und argumentative Grundlage dafür zerstört.

 

3. Breiter Protest fehlt

Auch wenn es viele individuelle Solidaritäts-Bekundungen für die erschütterten und bedrohten jüdischen Bürgerinnen gibt, vermissen diese die öffentlich demonstrierte Verbundenheit. Die quasi staatlichen Kundgebungen in den ersten Tagen nach dem Hamas-Pogrom wirken nachträglich eher wie eine Pflichtübung. Inzwischen beherrschen die Israel-feindlichen und antisemitischen Kundgebungen des mediale und damit öffentliche Bild. Der lebendige und breite Protest für Israel und seinen schnellen Erfolg bei der Entmachtung der Hamas ebenso wie gegen den weitverbreiteten Antisemitismus in unserem Land ist dagegen kaum sichtbar. Eine Herausforderung und Aufgabe, die keinen Verzug duldet.

Stand: 21.10.2023

 

[1] https://www.sueddeutsche.de/meinung/israel-hamas-krieg-voelkerrecht-kommentar-1.6282737

[2] Folge-Podcast bringt keine neuen (Selbst-)Erkenntnisse:  https://www.sueddeutsche.de/medien/markus-lanz-richard-david-precht-lanz-precht-podcast-zdf-entschuldigung-antisemitismus-1.6290442

[3] https://www.zdf.de/nachrichten/zdfheute-live/israel-hamas-angriffe-krieg-lueders-100.html Lüders kann aber auch lustig sein; er sieht in den früheren Beschüssen Israels aus dem Gazastreifen und Israels Reaktionen darauf ein „Katz- und Mausspiel“, gegenwärtig gäbe es aber einen „Game Change“.

[4] Quelle und weitere Infos hier: https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/like-fuer-terror-jubel-documenta-distanziert-sich-von-ruangrupa/  und hier: ttps://taz.de/Deutsche-Kulturszene-und-Hamas/!5963367/ und hier: https://taz.de/Antisemitismus-im-Kulturbetrieb/!5962724/      am 15.10.23

[5]  So ist es auch gekommen: file:///F:/Der%20FC%20Bayern%20und%20der%20Fall%20Mazraoui%20%E2%80%93%20Ein%20Statement%20und%20seine%20Geschichte%20Sport.%20%20SZ%2021.10.23pdf.pdf

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Boycott,_Divestment_and_Sanctions

[7] Barghouti hat im Widerspruch zu seinen öffentlichen Boykott-Aufrufen an der Universität Tel Aviv studiert und dafür auch Leistungen des Staates Israel in Anspruch genommen. https://de.wikipedia.org/wiki/Omar_Barghouti

Bildquellen

  • israel-654264_1280: CatsWithGlasses by pixabay

Related Posts

Der 7.10.2023 im Spiegel des ÖRK

Der 7.10.2023 im Spiegel des ÖRK

Der 7. Oktober – Reaktionen des Lutherischen Weltbundes *)

Der 7. Oktober – Reaktionen des Lutherischen Weltbundes *)

Hamburger Ostermarsch 2024 – ein Nachruf

Hamburger Ostermarsch 2024 – ein Nachruf

Klaus-Michael Kühne – Erbe, Oligarch, Mäzen

Klaus-Michael Kühne – Erbe, Oligarch, Mäzen

No Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert